Stille Provinz: Ein Mann rastet vor einer Auslage in Yozgat. Das Leben ist besser und billiger als in Österreich, sagen die Türken.

Foto: Standard/Markus Bernath

Die Rückkehrer haben Wohlstand mitgebracht und eine Erkenntnis: Die Gastarbeiter sind Geschichte, denn die Türkei boomt.

Die Straße der Wiener beginnt lange vor der Stadtmitte. Zuerst kommt der Traktorshop von Saadettin Kaynak, dann der seines Freundes Huseyin Akol. Ismail Dogan mit seinem Juweliergeschäft ist schon auf der Istiklal Caddesi, der Einkaufsstraße im Ort, ebenso der Schuhverkäufer Tuna und Atinis Secti, der in seinem Kleiderladen eine abgetrennte Box hat, wo er ebenfalls Goldringe mit Juwelen verkauft. Zusammengenommen haben die Herren 67 Jahre in Wien gearbeitet, und eigentlich war es eine ziemlich gute Zeit mit den Österreichern. Kaynak, der Traktorhändler, sagt: "A Mensch is a Mensch, waaßt."

Ein Großteil der Türken in Wien kommt aus der Provinz Yozgat in Zentralanatolien, drei Autostunden hinter Ankara, und der Großteil der Wiener Yozgat-Türken wiederum hat sich aus einer Kleinstadt in dieser Provinz auf den Weg gemacht – aus Akdagmadeni, 20.400 Einwohner, keine Sehenswürdigkeiten. Aber Leute mit eiserner Disziplin.

Um fünf Uhr aufstehen, um sieben Uhr am Presslufthammer, 13 Jahre lang, erzählt Huseyin Akol, der für Wiener Baufirmen gearbeitet hatte. Frau und Kinder blieben zurück in Anatolien, viele Ehen sind während dieser Zeit zerbrochen. War es das alles wert? "Wir hatten keine Zeit, traurig zu sein" , sagt Dogan, der Schmuckhändler, der auch noch eine Tankstelle am Ortseingang von Akdagmadeni hat. "Wir mussten weg von hier. Bei uns gab es keine Arbeit." Das ist jetzt anders.

Aus Yozgat zieht man weg

Yozgat, die Provinzhauptstadt, oder das 100 Kilometer weiter im Osten liegende Akdagmadeni, gehören nicht gerade zu den anatolischen "Tigerstädten" , den neuen Boomtowns im Land wie Kayseri, Gaziantep oder Konya. Außer Landwirtschaft und ein paar größeren Bau- und Textilunternehmen ist hier auf dem Plateau in der Mitte der Türkei nicht viel los. Wer zu Geld kommt, der zieht weg, heißt es in Yozgat; und wer keinen Job hat, ebenfalls. Ein Fluch liegt über der Provinz, der gern erzählt wird: Kemal Atatürk, der Gründer der Republik Türkei, konnte Yozgat nicht leiden und gab die Anweisung, dass Ankara nichts in die Provinz investieren sollte. Falls die Geschichte jemals gestimmt haben soll, ist sie politisch zumindest erledigt; in Yozgat regiert seit sechs Jahren die konservativ-muslimische AKP von Premier Tayyip Erdogan.

Die "Wiener" Geschäftsleute in Akdagmadeni, alles Männer um die 50 und zu Wohlstand gekommen, sehen das sehr viel gelassener. "Wenn du arbeiten willst, dann gibt es genug Arbeit hier" , sagt Saadettin Kaynak, der Traktorenhändler, der einmal am Praterstern gewohnt hat. Zum Arbeiten wandert heute niemand mehr nach Österreich aus. Das Leben hier ist viel besser, viel billiger, sagen die Männer, und die Wirtschaft läuft, seit die AKP regiert.

Junge Frauen aus der Türkei nach Wien

Ihr Österreich gibt es sowieso nicht mehr, das Wien der 1990er-Jahre mit den damals ganz ordentlichen 22.000 Schilling Lohn im Monat für Wasserrohreverlegen oder Non-stop-Asphaltieren; die FPÖ war noch nichts in der Stadt und die U3 gerade erst eröffnet. Schlechte Erfahrungen haben sie nie gemacht. "Wenn man freundlich ist, sind auch die Leute freundlich" , sagt Ismail Dogan, der Juwelierhändler. So war das wenigstens zu seiner Zeit. Dogans Verwandte sind geblieben. 80 Cousins, Großenkel, Vettern hat er heute in Wien, so schätzt er.

Es sind die jungen Frauen, die noch aus der Provinz Yozgat nach Österreich ziehen, weil sie Wiener Türken heiraten. Sie kommen aus einem konservativen Landstrich, in dem auf Schulbildung immer noch wenig Wert gelegt wird, wie eine Lehrerin klagt. Doch Yozgat hat eine technische Universität bekommen. 7000 Studenten fallen zu Semesterbeginn wieder in die Stadt ein. In Akdagmadeni werden sie davon nichts merken, aber die Idee gefällt ihnen. "Ich habe nichts gelernt" , gibt Huseyin Akol zu, einer der Traktorenhändler. "Was hätte ich anderes in Wien arbeiten sollen als auf dem Bau?" Aber weil ein Mensch eben ein Mensch ist, sagt er zum Schluss auch: "Ich bin froh, dass ich nach Wien gegangen bin, und ich bin froh, dass ich wieder zurück bin." (Markus Bernath aus Yozgat, DER STANDARD-Printausgabe, 25./26. 9.2010)