Bild nicht mehr verfügbar.

Image: FREEDOM!!, a Creative Commons Attribution Share-Alike (2.0) image from izarbeltza's photostream

Als Oracle die Übernahme des Computerherstellers Sun verkündete, zeigten sich so manche Mitglieder der OpenOffice.org-Community vorsichtig hoffnungsfroh, dass daraus eine weitere Öffnung des freien Office-Projekts resultieren könnte. Diese Hoffnungen scheinen sich nun recht schnell - und nachhaltig - zerschlagen zu haben: Unter dem Namen "LibreOffice" soll eine vollständige Abspaltung von OpenOffice.org etabliert werden, dies verkündet die zu diesem Zweck ins Leben gerufene Document Foundation.

Zusammensetzung

Eine Organisation, in der sich praktisch alle versammelt haben, die bisher schon in der OpenOffice.org-Entwicklung aktiv waren: Von Unternehmen wie Novell und Red Hat über Community-Bestrebungen wie dem in Brasilien sehr erfolgreichen BrOOo bis zu den diversen Übersetzungsprojekten. Einzige Ausnahme bleibt freilich Oracle selbst, auch wenn man das Unternehmen in der Presseaussendung der Document Foundation offen dazu auffordert sich an einem "wirklich freien Office-Projekt" zu beteiligen.

Kritik

Damit kommt man auch schon auf den Kernpunkt hinter der Entscheidung für den Fork: Schon Sun war in den letzten Jahren immer wieder für mangelnde Offenheit im Umgang mit OpenOffice.org kritisiert worden. Ein Copyright-Assignment, mit dem externe EntwicklerInnen - darunter auch Firmen wie Novell mit ihren signifikanten Entwicklungsteams - Sun/Oracle weitgehende Spezialrechte zugestehen mussten sowie der langwierige bürokratische Prozess, der mit der Einbringung neuer Funktionen verbunden ist, waren hier gewissermaßen "Dauerbrenner" der Kritik.

Wechsel

All dies soll nun mit LibreOffice vollkommen anders werden: Für die grundlegenden Entscheidungen hat man ein Leitungsteam etabliert, bestehend aus schon bisher aktiven EntwicklerInnen und Community-Mitgliedern. So gehören etwa Caolan McNamara von Red Hat und Thorsten Behrens von Novell zu diesem Kreis, auch der bisherige Marketing-Chef des Openoffice.org-Projekts, Florian Effenberg, ist Mitglied des "Steering Commitees". Als Lizenz kommt bei dem neuen freien Office-Projekt die LGPLv3 zum Einsatz, Copyright Assignment wird hingegen keines mehr nötig sein, eine Entscheidung mit der man gerade die Beiträge externer EntwicklerInnen erleichtern will.

Seitenhiebe von Google

Symbolträchtiger Support kommt zum Start auch von anderen im Open-Source-Umfeld umtriebigen Unternehmen. So signalisiert etwa Google Unterstützung für den Fork - und kann sich dabei einen kleinen Seitenhieb auf Oracle nicht ersparen: "Eine aktive und lebendige Community kann es nur geben, wenn alle auf gleicher Augenhöhe diskutierten", so der Open-Source-Chef des Unternehmens, Chris di Bona. Entsprechend sei man "stolz ein Unterstützer und aktives Mitglied der Document Foundation zu sein". Auch Ubuntu-Gründer Mark Shuttleworth meldet sich mit der Ankündigung zu Wort, dass LibreOffice in künftige Versionen von Ubuntu Einzug halten soll.

Firefox für Office

Bei Novell zeigt man sich von der Entstehung des neuen Projekts geradezu begeistert, und bedient ambitionierte Vergleiche aus der Open-Source-Welt: LibreOffice solle für die Office-Welt erreichen, was dem Firefox - als abgespeckter Mozilla - im Browser-Bereich gelungen ist. Red Hat betont hingegen vor allem die neuen Chancen für einen breiteren Einsatz im Unternehmensbereich und der öffentlichen Verwaltung. Gratulationen kommen außerdem von der Open Source Initiative, in der Presseaussendung zitiert man dabei mit Simon Phipps ausgerechnet einen prominenten, ehemaligen Sun-Mitarbeiter - der sich bei der  Übernahme durch Oracle von dem Unternehmen verabschiedet hatte. Besonders über den Fakt, dass LibreOffice keine nicht-freien Addons unterstützen will, freut sich Richard Stallman, Chef der Free Software Foundation, der gleichzeitig aber auch die Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit Oracle betont.

Hintergrund

Ganz neu ist die Idee ein von Sun / Oracle unabhängiges Projekt zu betreiben freilich nicht, schon bisher hatten sich einige Linux-Distributionen im Go-oo-Projekt zusammengetan, um OpenOffice.org mit eigenen Erweiterungen auszubauen und die Entwicklung neuer Funktionen zu erleichtern. Daraus resultiert der Umstand, dass heute schon die meisten Linux-Desktops eine im Vergleich zu den offiziellen Releases von OpenOffice.org um so manches Feature erweiterte Variante des freien Office ausliefern. Eine der großen Ausnahmen bildet dabei Red Hat, insofern ist es als deutliches Signal zu werden, dass sich auch der im Enterprise-Bereich führende Linux-Hersteller der Abspaltung angeschlossen hat.

Vollständiger Fork

Zudem ist LibreOffice-Projekt ist in seiner Ausrichtung wesentlich umfassender, wo Go-oo sich noch auf eine - zeitweise recht umfangreiche - Patch-Sammlung beschränkte, die man tunlichst versuchte im offiziellen OpenOffice.org unterzubringen, etabliert LibreOffice vollständig unabhängige Strukturen. Die Entwicklung wird also unabhängig von OpenOffice.org in einem eigenen Code-Repository vorangetrieben. Dass LibreOffice als unabhängiges Projekt forciert wird, bedeutet außerdem, dass man ab sofort eigene Pakete für Windows, Linux und Mac OS X anbietet und bewirbt, zum Start gibt es entsprechend bereits eine Beta-Version von LibreOffice 3.3.0. Ein weiterer entscheidender Unterschied, ist die dahinter stehende organisatorische Struktur: War Go-oo von Beginn an relativ stark durch Novell dominiert, genießt die "Document Foundation" hingegen eine recht umfassende Unterstützung aus der Community - und kann so mit dem eigenen Leitungsteam wesentlich unabhängiger agieren.

Oracle

Abzuwarten bleibt, wie Oracle auf die Ankündigung der Abspaltung reagieren wird, geht man nach den Erfahrungen der letzten Wochen - etwa im Umgang mit Java oder dem Open-Solaris-Projekt - ist kaum zu erwarten, dass der Softwarehersteller die Einladung des LibreOffice-Projekts zur Beteiligung annimmt. Hinter vorgehaltener Hand ist denn auch zu hören, dass Oracle in den letzten Monaten das Kunststück gelungen ist, praktisch alle bisherigen PartnerInnen - nicht nur - in der OpenOffice.org-Entwicklung vor den Kopf zu stoßen. Dass es so rasch nach der Übernahme von Sun durch Oracle zum Abgang praktisch der gesamten Community kommt, spricht hier aber wohl ohnehin eine äußerst deutliche Sprache. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 28.09.10)

Der WebStandard auf Facebook