Verfassungsjurist Berka: Einzelne Fehlurteile können nicht die Medienfreiheit "aushebeln".

 

 

Foto: STANDARD/Hendrich

Der Aufschrei der Medien war in den letzten Tagen nicht zu überhören. Düstere Prophezeiungen über die bedrohte Medienfreiheit wurden angestellt und die Forderung erhoben, dass das ausgehebelte Redaktionsgeheimnis unverzüglich unter verfassungsrechtlichen Schutz gestellt werden müsste. Der Grund: Das Oberlandesgericht Wien hat den ORF dazu verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden Videobänder zu übergeben, die im Zuge der Produktionsarbeiten für eine Schauplatz-Folge über junge Rechtsradikale hergestellt wurden, auch wenn dieses Filmmaterial niemals zur öffentlichen Ausstrahlung kam.

Für den investigativen Journalismus ist das Redaktionsgeheimnis tatsächlich die nötige Lebensluft, ohne den es den Medien nicht möglich wäre, ihrer Rolle als "public watchdog" nachzukommen.

Zur Erinnerung: Zu den Legenden des Aufklärungsjournalismus gehört immer noch ein Treffen im zwielichtigen Dunkel einer Tiefgarage in Washington DC, bei dem eine ziemlich suspekte Person mit dem Decknamen "Deep Throat" zwei Journalisten der Washington Post eine sensationelle geheime Information zugespielt hat, die zwei Jahre später dazu führen sollte, dass der Präsident der mächtigsten Nation dieser Welt, Richard Nixon, als erster und bislang einziger US-Präsident vorzeitig und "freiwillig" sein Amt zurücklegen musste.

Ohne einen ausreichend abgesicherten Schutz des Informanten wäre diese Information niemals geflossen, und der Watergate-Skandal wäre ebenso unaufgeklärt geblieben wie andere Affären - und zwar auch hierzulande, ob man nun an Lucona und Noricum oder an jüngere Vorkommnisse denkt, die nur dadurch an das Licht der Öffentlichkeit gelangt sind, dass den Medien von einem Gewährsmann unter dem Schutz der Vertraulichkeit gewisse Mitteilungen zugespielt wurden.

Übertriebenes Pathos

Es gibt daher gute Gründe, auf einen effektiven Schutz journalistischer Quellen zu pochen und jeder für die Demokratie schädlichen Einschränkung dieses Quellenschutzes energisch entgegenzutreten. Der aktuelle Vorfall rund um die Schauplatz-Produktion, aber auch die tatsächlich fragwürdige Amtshilfe, welche die österreichischen Staatsanwälte den deutschen Strafverfolgungsbehörden gewährten, indem sie österreichische Magazinjournalisten im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Hypo Alpe Adria zum Verhör vorluden, macht allerdings zwei Bemerkungen nötig.

Zunächst darf das Pathos des Aufklärungsjournalismus den einen Umstand nicht übersehen lassen: Das Redaktionsgeheimnis in der im österreichischen Mediengesetz verwirklichten Form ist kein umfassendes Berufsgeheimnis der Massenmedien und auch kein Privileg der Journalisten, das alles dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzieht, was mit der journalistischen Arbeit in irgendeiner Form etwas zu tun hatte. Hat sich ein Journalist selbst einer Straftat verdächtig gemacht, steht dem Zugriff der Behörden ohnedies nichts im Wege. Und wenn aus Anlass einer Demonstration Gewalttaten begangen werden, darf die Behörde auf das Filmmaterial zugreifen.

Was das Gesetz schützt, und das aus guten Gründen, ist die Vertraulichkeit der Informationsbeziehungen zu Journalisten. Insoweit darf jeder Medienmitarbeiter als Zeuge die Aussage über die Identität von Informanten oder über den Inhalt der ihm gegenüber gemachten Mitteilungen verweigern, und dieses Recht darf auch nicht durch eine Beschlagnahme oder in anderer Weise umgangen werden.

Das ist ein robuster Rechtsanspruch, der dem Staat zumutet, auf die Verfolgung oder Aufklärung von Straftaten unter Umständen auch zu verzichten, wenn dadurch die öffentliche Aufgabe der Medien gefährdet würde (und mit dem sich, was nicht übersehen werden darf, auch Nachteile für einen Angeklagten verbinden können, wenn ihm der Beweis seiner Unschuld erschwert wird). Das Redaktionsgeheimnis darf daher nicht zu einem Mythos hochstilisiert werden, als würde es alles, was sich in den Räumen einer Redaktion befindet oder in das Archiv eines Medienunternehmens gelangt ist, vor dem Zugriff der Behörden abschirmen.

Ebenso wenig darf freilich übersehen werden, dass der journalistische Quellenschutz eine unmittelbare Konsequenz der verfassungsrechtlich und in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Medienfreiheit ist. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt klargestellt, wenn er die engen Grenzen aufzeigt, die es bei einem Zugriff auf Informationen zu beachten gibt, die im Zuge einer journalistischen Recherche zutage getreten sind.

Das Oberlandesgericht Wien stützt sich auf formale Gesichtspunkte, wie etwa den Umstand, dass sich die den Beteiligten angelasteten und in dem unveröffentlichten Filmmaterial dokumentierten Verstöße gegen das Verbotsgesetz "in der Öffentlichkeit" abgespielt hätten. Schon aus diesem Grunde hätte es deshalb keine dem Redaktionsgeheimnis unterliegende Vertrauensbeziehung zwischen dem Journalisten und den Jugendlichen gegeben, deren Verhalten dieser zum Gegenstand seiner Dokumentation machte.

Unnötige politische Hektik

Das ist aber fraglich: Journalistisches Informationsmaterial, das im Zuge einer Recherche oder einer Produktion entstanden ist und gerade nicht für die Ausstrahlung verwendet wird, kann durchaus noch ein Gegenstand jener vertraulichen Informationsbeziehungen sein, die, im Lichte der Medienfreiheit betrachtet, dem journalistischen Quellenschutz unterliegen. Auf diese grundrechtliche Dimension des Redaktionsgeheimnisses ist das Oberlandesgericht bedauerlicherweise nicht eingegangen.

Der Schutz des Redaktionsgeheimnisses ist bereits in unserer Verfassungsrechtsordnung verankert - die Verfassung müsste nur ernst genommen werden. Dass es im vorliegenden Fall wahrscheinlich wieder einmal nötig werden wird, den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof anzurufen, ist eigentlich schade.

Dieser Streit um die Reichweite des journalistischen Quellenschutzes muss jedenfalls mit juristischen Mitteln ausgetragen werden. Hektische politische Betriebsamkeit ist in dieser Lage nur beschränkt hilfreich, ebenso wie die Weigerung des ORF, eine vorerst verbindliche gerichtliche Verfügung zu respektieren, auch wenn man sie mit guten Gründen für falsch halten mag. Und selbst wenn der wenig sensible Umgang mit der verfassungsrechtlich geschützten Medienfreiheit ein Ärgernis ist: Weder die Freiheit der Medien noch der Rechtsstaat werden durch einzelne Fehlentscheidungen "ausgehebelt". (DER STANDARD; Printausgabe, 29.9.2010)