Skinhead-Affäre - Ex-VfGH-Präsident Korinek von ORF "sehr enttäuscht"
Redaktionsgeheimnis in Österreich verfassungsrechtlich besser geschützt als in USA - scharfe Kritik an Durchlöcherung - "Für Aufdeckungsjournalismus tödlich"
Wien (APA) - Kritik an der ORF-Entscheidung, die von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zu Beweismittelzwecken geforderten Bänder in der Skinhead-Affäre nicht herauszugeben, übt der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Karl Korinek. "Ich bin von der Reaktion des ORF sehr enttäuscht. Im Rechtsstaat steht niemand außerhalb des Gesetzes. Auch der ORF muss sich an die Gesetze halten und darf sich nicht über das Gesetz stellen", so Korinek.

"Wer, wenn nicht ein Richter hat in solchen Fällen zu entscheiden." Wenn der ORF der Meinung sei, dass mit dem Urteil des Wiener Oberlandesgerichts (OLG), das dem Ansinnen der Staatsanwaltschaft recht gab, gegen das Grundrecht der Pressefreiheit verstoßen wird, dann muss der ORF zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) nach Straßburg gehen. Korinek bezeichnete es allerdings als "Manko der österreichischen Verfassungsordnung, dass man sich in solchen Fällen nicht an den Verfassungsgerichtshof wenden kann".

Die Chancen des ORF in Straßburg traut sich Korinek nicht einzuschätzen. Er verweist allerdings auf den Fall Nordisk Film & TV aus Dänemark. Damals habe der Menschenrechtsgerichtshof eine Position vertreten, die in etwa der des Oberlandesgerichts in der "Am Schauplatz"-Reportage entsprochen hat. "Ich trau mich das nicht so apodiktisch sagen, aber nach der Nordisk-Entscheidung kann man nicht sagen, dass das Oberlandesgericht da völlig falsch liegt", so der frühere VfGH-Präsident.

Auf die Nordisk-Entscheidung geht auch der Verwaltungsrichter und frühere KommAustria-Chef Hans Peter Lehofer in seinem Blog zu aktuellen Medienrechtsfragen ein. In dem von der grundsätzlichen Stoßrichtung her vergleichbaren Nordisk-Fall habe der EGMR die vom nationalen dänischen Gericht zwecks Aufklärung einer schwerwiegenden Straftat verhängte Verpflichtung zur Herausgabe von uneditiertem Bild- bzw. Rohmaterial und dazugehörigen Notizen zwar als möglichen Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber nicht als unverhältnismäßig beurteilt. Bei Nordisk sei es nicht um den Schutz unbekannter Informanten gegangen, die Identität des mutmaßlichen Straftäters, mit dem der Journalist gesprochen hatte, sei der Polizei bekanntgewesen.

Lehofers Resumee: "Inhaltlich scheint es damit - jedenfalls im Kern - weniger um die Durchbrechung des Redaktionsgeheimnisses zur Identifikation und Ausforschung von mutmaßlichen Straftätern zu gehen, sondern eher um die Aufklärung, ob die - ohnedies aus der ausgestrahlten Sendung bekannten - Protagonisten tatsächlich die (offenbar von einer Zeugin behaupteten) Straftaten begangen haben. Alles in allem schiene daher auf den ersten Blick eine Orientierung am Fall Nordisk Film & TV denkbar." Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Pressefreiheit durch den EGMR werde es aber "ganz wesentlich auf die sorgfältige Abwägung" des nationalen Oberlandesgerichts ankommen".

"Redaktionsgeheimnis in Österreich verfassungsrechtlich besser abgesichert, als es in den USA"

Unnötig findet der herausragende Medienrechtsexperte hingegen die aktuelle Diskussion um eine verfassungsrechtliche Verankerung des Redaktionsgeheimnisses. "Das Redaktionsgeheimnis ist in Österreich verfassungsrechtlich besser abgesichert, als es in den USA mit dem 'First Amendment' (Erster Verfassungszusatz; Anm.) der Fall ist. Denn Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Österreich unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, schützt auch journalistische Quellen", so Lehofer.

Harsche Kritik an der Entwicklung der Judikatur in Medienrechtsfragen kommt unterdessen von Gerhard Litzka. Litzka war leitender Staatsanwalt, über 17 Jahre Pressesprecher von fünf Justizministern und Mitverfasser des Medienrechtsgesetzes. "Die Judikatur entwickelt sich in eine Richtung, an deren Ende die Durchlöcherung des Redaktionsgeheimnisses steht, die für einen sinnvollen Aufdeckungsjournalismus tödlich ist", sagte Litzka. Die OLG-Entscheidung über die Herausgabe des Recherchematerials der "Am Schauplatz"-Reportage über jugendliche Skinheads am rechten Rand kenne er zwar nicht im Detail, aber nach dem, was darüber veröffentlicht wurde, habe er ein "ungutes Gefühl" und "Magenbeschwerden".

Litzka verwies auf das Mediengesetz von 1981 und die damaligen Erläuterungen der Regierungsvorlage. Der Gesetzgeber habe damals ein "hart formuliertes Gesetz" vorgelegt, zugleich aber auch darauf hingewiesen, dass Journalisten unter keinen Umständen Informanten preisgeben, sondern sogar eher Beugestrafen in Kauf nehmen würden. Und trotz der Weigerung, Quellen herauszugeben, seien bisher "keine ernsten Misshelligkeiten aufgetreten", heißt es in den Erläuterungen der damaligen Regierungsvorlage. Es sei kein Fall bekannt, in dem die Aufklärung einer schwerwiegenden Straftat nur deshalb unterblieb, weil Journalisten oder Medienunternehmen Informationen verweigert hätten. "Akzeptierte Beruhigung - die Journalisten geben's eh nicht her", nennt Litzka diese Interpretation durch den Gesetzgeber. "Der ORF hat nun nur das gemacht, was die Regierung damals mit dem Gesetz gemeint hat", so Litzka. Die Beugestrafen bei solchen Verstößen wären deshalb entsprechend niedrig. Die Obergrenze für die Buße liegt bei einmalig 10.000 Euro. Keine Rede also von Millionenbeträgen oder Haft, wie in den vergangenen Wochen immer wieder zu hören war.

"Redaktionsgeheimnis zur Aufrechterhaltung eines investigativen Journalismus notwendig"

Manche Staatsanwälte und Richter würden diese legistischen Hintergründe nicht oder zu wenig kennen. Die Judikatur ist nach Litzkas Meinung in den vergangenen Jahren in eine Richtung geschwenkt, die man als "gefährlich für den Aufdeckungsjournalismus" bezeichnen müsse. "Eine Entscheidung baut auf der anderen auf, dann geht's womöglich in die falsche Richtung." Auch das jüngste rechtlich nicht gedeckte Verhör von Magazin-Journalisten in der Causa Hypo Alpe Adria sei nicht gerade ein "Hinweis, dass die zuständigen Staatsanwälte in medienrechtlichen Fragen übertrainiert sind", meinte Litzka. "Das Redaktionsgeheimnis ist zur Aufrechterhaltung eines investigativen Journalismus notwendig, damit dieser seine demokratische Funktion als vierte Gewalt erfüllen kann."

Die Skinhead-Reportage, bei der ein ORF-Team um "Am Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe begleitet hatte, sorgt bereits seit dem Frühjahr für Aufregung. Bei der Auseinandersetzung um das Drehmaterial der Reportage will die Staatsanwaltschaft prüfen, ob von den Jugendlichen Nazi-Sager getätigt wurden bzw. ob etwaige Parolen, wenn es solche geben sollte, vom ORF-Reporter angeregt wurden. Im ORF betonte man wiederholt, dass auch auf dem Drehmaterial keine strafbaren Handlungen zu sehen seien, die eine gerichtliche Verfolgung nach sich ziehen würden. (APA)