Wien - Die Medizinische Universität Wien (MUW) hat am Donnerstag in einer Feierstunde enteignete Bücher aus dem Besitz des ehemaligen, von den Nazis verfolgten Pathologie-Professors Carl Julius Rothberger dessen Tochter Bertha Gutmann zurückgegeben. Die Restitution ist die erste im Rahmen der laufenden Provenienzforschung der Medizin-Uni. Bei den 39 Büchern handelt es sich vor allem um wissenschaftliche Werke.

2007 wurde an der Universitätsbibliothek der MUW im Auftrag des Rektorates ein Provenienzforschungsprojekt zum Thema "NS-Raub an der Medizinischen Universität Wien" gestartet. Dabei konnten 39 Bücher aus dem Besitz Rothbergers ermittelt werden, ein Restitutionsgutachten empfahl deren Rückgabe.

"Der Med-Uni Wien ist es ein besonderes Anliegen, diese Provenienzforschung aktiv und effektiv zu betreiben," erklärte MUW-Rektor Wolfgang Schütz in einer Aussendung. Die Medizinische Fakultät habe während des Nazi-Regimes sehr viele jüdische Gelehrte enteignet und ihnen ihre Lehrbefugnis aberkannt. "Es ist uns daher sehr wichtig, auch über 70 Jahre später den Nachfahren das enteignete Eigentum zurückzuerstatten", so Schütz.

Biografie

Carl Julius Rothberger wurde am 14. Oktober 1871 in Wien geboren. Er stammte aus einer jüdischen Familie, sein Vater Jacob Rothberger hatte am Stephansplatz ein großes Textilkaufhaus gegründet. Der Mediziner arbeitete ab 1898 an der Uni Wien. 1904 habilitierte er sich für allgemeine und experimentelle Pathologie. Im April 1912 wurde Rothberger zum außerordentlichen Professor für allgemeine und experimentelle Pathologie ernannt. Nach dem Tod des damaligen Institutsvorstands 1924 ging die Leitung des Institutes auf Rothberger über, ohne dass er jemals zum Vorstand ernannt wurde.

1936 wurde Rothberger im Alter von 65 Jahren frühzeitig pensioniert, das zuständige Unterrichtsministerium nannte als Grund dafür Sparzwänge. Am 13. März 1938 wurde Rothberger aufgrund der NS-"Rassengesetze" verhaftet. Über Intervention des damaligen Medizin-Dekans und späteren Rektors (1943-45) Eduard Pernkopf kam er wieder frei. Pernkopf war seit 1933 aktives Mitglied der NSDAP, seit 1934 illegales Mitglied der SA. Sein umstrittener Anatomieatlas war später Anlass für die erste Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Uni Wien und auch ihrer Medizin-Fakultät.

Rothbergers Ehe mit einer "Arierin" wurde als "privilegierte Mischehe" definiert, was ihn aber nur notdürftig vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten schützte. Laut seiner am 30. Juni 1938 vorgenommenen "Vermögensanmeldung" war er im Besitz einer medizinischen Bibliothek, die sich nach seinen Angaben an seinem früheren Arbeitsplatz am Universitätsinstitut befand. Rothberger starb zusammen mit seiner Frau bei einem der letzten Bombenangriffe auf die Wiener Innenstadt am 13. März 1945 im Philipphof.

Neue Publikation

Über die Familie Rothberger, die das kulturelle und wirtschaftliche Leben Wiens über fast ein Jahrhundert mitgeprägt hat, ist nun im Böhlau Verlag ein Buch erschienen. Der zweite Band der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung widmet sich unter dem Titel "schneidern und sammeln" der "Wiener Familie Rothberger", deren Leben sich mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich 1938 schlagartig änderte. "Sie wurden als Juden verfolgt, das Textilunternehmen wurde arisiert, Sammlungen mussten abgegeben werden", heißt es seitens des Verlages. Die Sammlung von Heinrich Rothberger, dem Bruder von Carl Julius Rothberger, der 1899 nach dem Tod des Vaters die Leitung des Geschäfts übernahm und 1938 vor den Nazis nach Kanada fliehen musste, umfasste neben einigen Bildern vor allem erlesene Porzellanstücke. Teile der Sammlung landeten im Museum für Angewandte Kunst Wien, einzelne Stücke wurden in den vergangenen Jahren nach Empfehlung des Rückgabebeirats an die Erben nach Heinrich Rothberger restituiert. (APA)