Wiener Neustadt - Von außen ist das Landesgericht Wiener Neustadt ein typischer Fin-de-Siècle-Bau. Was drinnen, in den Amtsstuben und Verhandlungssälen geschieht, steht seit geraumer Zeit unter Kritik.
Letzte Entwicklung: Die Strafanzeige der Grünen gegen Heinz-Christian Strache wegen Verhetzung (Comic "Sagen aus Wien" : "Wennst dem Mustafa eine aufbrennst ..." ) ist auch bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gelandet. Für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim ist das "völlig unverständlich" . Immerhin sei die Sagenbroschüre in Wien und nur dort - verschickt worden.
Sehr forsch ging die Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft vor, als es darum ging, ob der ORF Strache mit zwei Skinheads hereinlegen wollte. Die Macher der Sendung "Am Schauplatz" wollten die Welt von rechtsextremen, arbeitslosen Unterschicht-Skins darstellen. FPÖ-Chef Strache behauptete, die zwei seien von ORF-Redakteur Ed Moschitz zu "Sieg-Heil" -Rufen bei seiner Wahlveranstaltung angestiftet worden.
Redakteur als "Rechter"
Seither führt Staatsanwalt Johann Fuchs ein Verfahren wegen Wiederbetätigung gegen Moschitz und zwei Skins. Vorläufig letzter Stand: auf den gesendeten Bändern ist kein Hitlergruß zu hören und zu sehen. Ein Gutachter konnte keine (von Strache behauptete) Manipulation erkennen. Die Staatsanwaltschaft aber wollte auch die ungesendeten Bänder, denn auf denen sei Wiederbetätigung (durch einen Skin) festgehalten. Der Antrag auf Herausgabe wurde von einer Richterin des Landesgerichts Wiener Neustadt abgelehnt.
Aber so einfach gibt Staatsanwalt Johann Fuchs nicht auf: er wandte sich an das Oberlandesgericht (OLG) Wien - und bekam recht: Herausgabe. Im Zuge der Dreharbeiten sei es nämlich im Hof des Wohnhauses eines der Skinheads zum "Sieg Heil" oder "Heil Hitler" durch einen Skin gekommen. Die "Öffentlichkeit" sei durch Aufnahmeteam, Beschuldigte und "Passanten" gegeben, auch wenn nicht gesendet wurde.
Zusammenfassung: weil ein ORF-Redakteur ein "möglichst authentisches Bild" (OLG) von Rechtsextremen zeichnen wollte, steht er selbst unter der Beschuldigung der NS-Wiederbetätigung.
Der ORF beschloss nach dem OLG-Beschluss, die Rohbänder herauszugeben. Wenig später zog er diese Zusage wieder zurück. Denn nun tauchte ein "Formalfehler" auf: Die Richterin, die am Beschluss des OLG mitgewirkt hatte, ist die Schwester jener Oberstaatsanwältin in Wien, die mit dem Fall befasst ist.
Die Generalprokuratur hält es für möglich, dass der Beschluss des OLG deswegen aufgehoben wird. Und Kenner der Situation halten es für möglich, dass das Justizministerium ganz froh darüber ist, dass dem Eifer der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt auf diese Weise Grenzen gesetzt werden.
Dieser ist umgekehrt nicht so ausgeprägt. Die Sendungsverantwortlichen von Am Schauplatz haben Strache wegen Falschaussage angezeigt. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien musste der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Weisung geben, Strache als Beschuldigten zu führen und auf seine Auslieferung durch das Parlament zu bestehen, die inzwischen erfolgt ist. Bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestreitet Erich Habitzl "Einstellungsversuch unsererseits definitiv" .
Nur geringfügigen Niederösterreichbezug hat auch die Tierschützercausa, im Zuge deren 13 Aktivisten seit 2. März 2010 in Wiener Neustadt unter Mafiaanklage stehen. Zwar haben 72 der insgesamt 89 zur Anklage gebrachten Fakten in Wien stattgefunden und neun der 13 Beschuldigten leben in der Bundeshauptstadt. Dennoch wurde im Herbst 2009 der Antrag der Verteidigung, das Verfahren ans die Staatsanwaltschaft Wien zu delegieren, abgelehnt.
Tierschützer gegen Rechte
Grund dafür ist der älteste Tatbestand in der Anklageschrift, der im Gumpoldskirchen stattfand. Doch mit Tierschutzanliegen hat dieser nichts zu tun. Vielmehr wurde am 22.10.2006 in dem Weinort ein Treffen Rechtsextremer gestört - und in Wiener Neustadt zur Anzeige gebracht.
In der Folge entdeckte man auf einem Stein, der in Gumpoldskirchen geworfen worden sein soll, DNA-Spuren. Dieselben wie in einem Haar, das dem jetzt beschuldigten Tierschützer Felix H. bei einer Rangelei mit Polizisten vor einer Wiener Kleider-Bauer-Filiale ausgerissen wurde: Offenbar Grund genug, um die Mafia-Erhebungen beim Wiener Neustädter Staatsanwalt Wolfgang Handler anzusiedeln: ein Entschluss, den Justizministerin Claudia Bandion-Ortner in der Folge bestätigte.
Handler war es auch, der 2009 eine Verhetzungsanzeige der unweit Wiener Neustadts wohnenden Grün-Politikerin Madeleine Petrovic gegen ein Anti-"Asylanten" -Mail nach nur zwei Werktagen abwies. Sogar dass in dem Hassschreiben Petrovics E-Mailadresse stand und sie danach Drohsendungen erhielt, ließ ihn nicht zögern. Die Verfahrenseinstellung wurde vom Oberlandesgericht Wien für rechtens erklärt. (Irene Brickner, Hans Rauscher/DER STANDARD; Printausgabe, 6.10.2010)