Thomas Bernhards "Heldenplatz". Das einstige Skandalstück sorgt in Innsbruck nur mehr für Heiterkeit.

Foto: Tiroler Landestheater

Innsbruck - "In Österreich musst du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein alles andere wird nicht geduldet": Sätze wie diese lösten 1988 bei der Uraufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz den größten Theaterskandal der 2. Republik aus - nun, bei der Aufführung in Innsbruck (Regie: Klaus Rohrmoser) höchstens Heiterkeit.

Gerd Rigauer überzeugt nicht als Professor Robert Schuster, der sich in Hasstiraden gegen alles Österreichische hineinsteigert an diesem Tag, da sein Bruder Josef Schuster beerdigt wird, nachdem er sich aus dem Fenster gestürzt hatte. Anna (Judith Keller), eine der Töchter, spricht manieriert, Olga (Janine Wegener), die andere stückbedingt fast nichts. Die Möbel (Ausstattung: Maria Frenzel) erinnern eher an Flohmarkt-Stücke als an eine bürgerlichen Wohnung. Der skandalfreie Heldenplatz dauert drei lange Stunden.

Mit eineinhalb Stunden geradezu kurz(weilig) und eindeutig überraschender ist die zweite Premiere des Tiroler Landestheaters, Goethes Urfaust in der Inszenierung von Reinhard Göber. Faust (Helmuth A. Häulser) sitzt an seinem Schreibtisch und starrt schweigend in seinen Laptop. "Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor" muss das Publikum, dirigiert von Burkhard Wolf als Mephisto, mehrfach deklamieren. Erst dann setzt Faust (Helmut A. Häusler) in den Monolog ein. Später wird er bei Mephisto auf Spanisch Kokain bestellen. Schnee fällt vom Himmel.

Auerbachs Keller ist bei Göber eine schrille Après-Ski-Bar (Bühne: Helfried Lauckner). In einer flugs zusammengestellten Band sitzt Faust am Schlagzeug, Mephisto am Keyboard. Und alle plärren Rape me von Nirvana. In diesem Augenblick taucht Margarethe (Julia Rosa Stöckl) auf - und das ist die größte an dieser an Überraschungen reichen Inszenierung: im Tschador. Gretchen ist Muslimin.

Ab nun spielt die Handlung in einer schmuddeligen Wohnküche mit weißer Resopal-Küchenzeile. Einfärbig grau bis schwarz die Kleidung der Herren (Kostüme: Andrea Kupria), grellbunt die türkischen Damen (Marthe, Liesgen, Gretchen). Textlich hält sich Regisseur Göber dicht am Original - mit einigen Abschweifungen, wie das Telefonat des Studenten mit seiner Mama.

Göber gibt Goethes Urfaust eine aktuelle Entsprechung; er verlagert das Gretchen und ihre Umgebung ins Migranten-Milieu des 21. Jahrhunderts, wo auch in Europa Ehrenmorde geschehen: Und so fällt Gretchen am Ende ihrem Bruder zum Opfer, weil sie durch ihre Liaison mit Faust die Familien-Ehre beschädigt. Eine gewagte, jedoch nachvollziehbare Interpretation. Ein durchaus sehenswerter Abend. (Dorothea Nikolussi-Salzer / DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2020)