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Plastik ist allgegenwärtig, sein Einfluß auf den Organismus wird erst jetzt erforscht.

Österreichische Kinder sollen künftig keine hormonaktiven Substanzen mehr aus ihren Schnullern nuckeln. Mit 1. Jänner 2011 will Gesundheitsminister Alois Stöger Bisphenol A, eine Massenchemikalie, die wie ein körpereigenes Hormon wirkt, in "kindernahen" Produkten wie Schnullern und Fläschchen verbieten. Zu finden ist BPA außer in Babyartikeln auch in den Beschichtungen von Getränke- und Konservendosen, in Trinkflaschen für Sportler, in CDs und DVDs.

BPA ist Ausgangsstoff für den transparenten und harten Kunststoff Polycarbonat. Eine Verbotsverordnung werde zurzeit vorbereitet, sagt Pressesprecher Fabian Fußeis. Stögers Begründung: "Der Einsatz von Polykarbonat ist für kindernahe Produkte wie Babyfläschchen oder Schnullerschilder nicht notwendig. Die Exposition durch Bisphenol A bei Kindern kann also reduziert werden."

Das Verbot ist eine Reaktion auf hartnäckige Forderungen von Umweltorganisationen und -medizinern, die zahlreichen kritischen Studien über die Gesundheitsgefährdung durch BPA (Unfruchtbarkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Entwicklungsstörungen bei Kindern, Krebs) ernst zu nehmen.

Zugleich ist die angekündigte Verordnung aber auch ein klarer Widerspruch zum jüngsten Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über die Sicherheit von Bisphenol A. Die EU-Behörde beharrt darauf, dass BPA keine Gesundheitsgefährdung darstelle. "Ein industriefreundlicher Standpunkt", kritisiert Daniela Hoffmann, Chemieexpertin von Global 2000.

Derzeitig anerkannte Methoden zur Risikoabschätzung von Chemikalien seien, so Hoffmann, unsensibel gegenüber der besonderen Wirkweise von Endokrindisruptoren wie BPA, die oft in kleinsten Dosen weit schädlicher sein könnten als in großen Mengen. Hoffmann verweist auf das deutsche Umweltbundesamt, das bereits 2009 die BPA-Grenzwerte kritisierte. Die derzeit von der EFSA als sicher erachtete tägliche Aufnahmemenge von Bisphenol A sei um das 2000-Fache zu hoch angesetzt. Gesundheitsfolgen könnten nicht ausgeschlossen werden.

Bei Global 2000 wünscht man sich "natürlich weitere mutige Schritte von Minister Stöger" - beispielsweise den Schutz schwangerer Frauen und ein Verbot von BPA in allen Lebensmittelkontaktmaterialien. Ultimatives Ziel bleibe aber, so Hoffmann, eine EU-weite Lösung,

Unfruchtbar durch Phthalate

BPA ist nicht der einzige hormonaktive Werkstoff, der Umwelt- und Gesundheitsexperten Sorgen bereitet. "Immer und überall zu finden sind Phthalate, in Nahrungsmitteln, im Wasser, in der Luft", so der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene der Med-Uni Wien. Wie Bisphenol A können die Kunststoff-Weichmacher Phthalate die Hormonbalance bei Mensch und Tier empfindlich stören. Hutter: "Phthalate wirken ähnlich wie körpereigene Östro-gene. Vorzeitige Geschlechtsentwicklung von Mädchen kann eine Folge sein, bei Männern wird die Samenqualität beeinträchtigt. Auch Auswirkungen auf die Lungenfunktion wurden beobachtet."

So wurde laut Hutter in einer Studie ein "deutlicher Zusammenhang zwischen Phthalaten im Hausstaub von Kinderzimmern und Asthma, aber auch Hautekzemen festgestellt".

Wie kommen die Weichmacher ins Kinderzimmer? Sie befinden sich in Bodenbelägen, Möbeln, Tapeten, Kabeln, Beschichtungen, Farben, Lacken, aber auch in Spielsachen. Phthalate sind im Kunststoff nicht gebunden, können so wieder entweichen, gelangen in Hausstaub und Atemluft. Die farb-, geruch- und geschmackslosen Industriechemikalien sind beständig und fettlöslich, lagern sich in Sedimenten ab und kommen in die Nahrungskette. Laut Umweltbundesamt werden in Österreich jährlich 15.000 bis 20.000 Tonnen Phthalate eingesetzt.

Die Phthalate DEHP, DBP und BBP sind EU-weit für den Einsatz in Spielzeug verboten, drei weitere - DINP, DIDP und DNOP - für Spielsachen, die Kinder unter drei Jahren in den Mund nehmen könnten. "Aber wer kontrolliert das Spielzeug, das aus dem asiatischen Raum importiert wird?", fragt Hutter. Importware in den Häfen zu prüfen sei zu aufwändig und kostenintensiv. Die Gesetzgeber müssten deshalb bei den Produzenten ansetzen, fordert der Arzt. Bewusstsein für die Gesundheitsgefährdung durch Industriechemikalien müsse aber erst geschaffen werden. Noch fehle es an Sensibilität. So würden Phthalate, weil magensaftresistent, sogar in Kapseln von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt. Sie sind auch in Nahrungsmitteln und Kosmetika nachzuweisen. Hutter: "Die Weichmacher müssen gar nicht absichtlich zugesetzt worden sein, sie können aus der Verpackung in die Lebensmittel übergehen." (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 11.10.2010)