Als China 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens seine Panzer gegen Studenten auffährt, stellt sich auch Liu Xiaobo dem Regime entgegen. 33 Jahre alt und Literaturdozent, ist er damals einer der letzten Hungerstreikenden, die ausharren, bis Peking die Demokratiebewegung brutal niederschlägt. Das Nobelpreiskomitee zeichnet noch im selben Jahr den Dalai Lama mit dem Friedenspreis aus. 21 Jahre danach ist Liu selbst der Preisträger - ein Affront für China.

Viel hat Peking getan, um die wichtigste Stimme der Dissidenten davon abzubringen, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einzufordern. Hausdurchsuchungen, Verbote von Schriften, Arbeitslager zur Umerziehung, Hausarrest, immer wieder Gefängnis, nach den Protesten 1989 allein 20 Monate. Im vergangenen Jahr sollte der heute 54-Jährige offenbar endgültig ruhiggestellt werden: Innerhalb eines Tages verurteilte ihn die Justiz zu elf Jahren Haft, weil er den Freiheitsaufruf Charta 08 mitverfasste, in dem Mehrparteienherrschaft, Gewaltenteilung und freie Wahlen gefordert werden. Für Peking eine Untergrabung der Staatsgewalt.

Das Manifest orientierte sich an der Charta 77, dem Aufruf von Dissidenten in der kommunistischen Tschechoslowakei 1977. So war es auch der frühere tschechische Dissident und spätere Präsident Václav Havel, der Liu für den Preis vorschlug.

Seine Strafe verbüßt der in der nordostchinesischen Provinz Jilin geborene Liu in einem Gefängnis, das knapp 500 Kilometer von Peking entfernt liegt. Seine Zelle teilt er sich mit fünf Männern. Zweimal täglich darf er eine Stunde ins Freie.

Lesen ist erlaubt, solange die Bücher offiziell erschienen sind. Seine Frau Liu Xia brachte ihm zuletzt Romane, Geschichtsbücher und eine in China gedruckte Bibel - lebensnotwendig für ihn, der in Jilin und Peking Literatur, Philosophie und Geschichte studierte und in Norwegen und den USA als Gastdozent lehrte. Auch schreiben dürfe er, sagt sie.

Liu Xia hat in einem Untergrundverlag nach Lius Verhaftung Dutzende seiner Gedichte gegen das Vergessen des Tiananmen-Massakers veröffentlicht. Mit dem Einsatz für die Sache ihres Mannes ist die einst introvertierte Künstlerin selbstbewusst geworden, sie ist seine Stimme nach außen, auch gegenüber den Medien. Die frühere Malerin düster-depressiver Bilder mit den kurzgeschorenen Haaren hat sich gewandelt. "Ich male wieder mit den Farben Rot und Grün." (Julia Raabe, DERSTANDARD-Printausgabe, 08./09.10.2010)