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Giftschlamm hinterlässt Spuren.

Foto: Foto:Bela Szandelszky/AP/dapd

Wien/Kolontar - Den Einwohnern und den Helfern im westungarischen Krisengebiet, das mit giftigem Rotschlamm verseucht wurde, ist offenbar keine Sonntagsruhe gegönnt. Wie ein Sprecher von Greenpeace berichtete, droht nun auch der Damm eines weiteren Beckens zu brechen. Die Behörden hätten deswegen einen Teil des von der Umweltkatastrophe zerstörten Areals gesperrt.

Immer wieder werde das Krisengebiet von den Behörden abgeriegelt: "Manchmal heißt es, man könne rein, dann müssen wir wieder schnell raus - Es ist ein permanentes Hin und Her", so der Greenpeace-Sprecher. Offenbar ist die Angst vor einer weiteren giftigen Flutwelle nun doch wieder groß. Was hinzu kommt, ist die allgemeine Verunsicherung, denn Menge und Inhalt des Reservoirs seien derzeit unbekannt. Von Entspannung könne jedenfalls keine Rede sein: "Die Lage scheint sich wieder zuzuspitzen", hieß es bei Greenpeace.

Risse werden nur langsam größer

Zuvor wurde von leichter Entspannung aus der Umweltkatastrophe um ausgetretenen Giftschlamm im westungarischen Kolontar berichtet. Wie die Nachrichtenagentur MTI meldete, vergrößerten sich die Risse im Auffangbecken der Aluminiumfabrik MAL AG am Samstagabend langsamer als noch Stunden zuvor. Ein Experte zeigte sich daher zuversichtlich, dass das Auffangbecken dicht halten werde. Voraussetzung dafür sei aber, "dass das Wetter mitspielt", äußerte er offenbar die Hoffnung auf trockenes Wetter.

Indes gingen die Arbeiten für eine Schutzmauer rund um das Auffangbecken für den hochtoxischen Schlamm zügig voran. Am Abend wurde das Fundament wurde die 400 Meter lange und rund fünf Meter hohe Barriere fertiggestellt, die Kolontar vor einer neuerlichen Giftwelle retten soll. Das Fundament reicht einen halben Meter unter die Erdoberfläche. "Die Mauer wird eine mögliche neue Schlammwelle ableiten und regulieren", sagten Bauexperten der Nachrichtenagentur. Für den Bau der Mauer musste ein Haus abgerissen werden. In dem Auffangbecken für den Giftschlamm der Aluminiumfabrik MAL AG waren zuvor Risse entdeckt worden, man befürchtete einen neuerlichen massiven Austritt der hoch toxischen Flüssigkeit. 

EU-Staaten schicken fünf Experten

Die EU-Staaten schicken fünf Experten - darunter einen Österreicher - für die Bekämpfung der Giftschlamm-Katastrophe nach Ungarn. Nach Angaben der EU-Kommission vom Sonntag in Brüssel sollen sie von Montag an die ungarischen Stellen unterstützen. Die Experten kommen neben Österreich aus Belgien, Deutschland, Frankreich und Schweden.

Die Fachleute waren von den ungarischen Behörden aus mehr als 40 Spezialisten ausgewählt worden, die von zehn EU-Staaten angeboten worden waren. Die für Katastrophenschutz zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa erklärte, die schnelle Reaktion der europäischen Partner - Ungarn hatte am Donnerstag um Hilfe gebeten - zeige, "dass wir Seite an Seite mit den ungarischen Behörden stehen".

Orban in Kolontar

Ministerpräsident Viktor Orban hatte den Ort der Katastrophe am Samstagvormittag gemeinsam mit mehreren Ministern besucht. Er sprach von der "realen Gefahr" eines neuerlichen Dammbruchs. Während er den Verantwortlichen für die Katastrophe mit harten Konsequenzen drohte, versprach er allen Betroffenen eine Entschädigung. "Niemand wird in dieser größten Umweltkatastrophe der ungarischen Geschichte ohne Hilfe bleiben", betonte er. Als Spendensammler unter den Auslandsungarn in den USA konnte er den früheren New Yorker Gouverneur George Pataki, der ungarische Vorfahren hat, gewinnen.

Orban kündigte für Sonntag eine außerordentliche Regierungssitzung zur Umweltkatastrophe an. Verteidigungsminister Csaba Hende kündigte an, wenn notwendig das gesamte Armeepersonal abzustellen. Er fügte jedoch hinzu, dass bis dato noch kein Ansuchen um eine Aufstockung eingelangt sei. Am Samstag befanden sich rund 320 Soldaten im Krisengebiet.

WWF: Katastrophe wäre zu verhindern gewesen

Die Katastrophe hätte verhindert werden können, glaubt der WWF. Denn der Damm des brüchigen Auffangbeckens am Gelände der Aluminiumfabrik sei schon seit Monaten undicht gewesen. Ein Foto vom Juni 2010 belege, dass bereits damals Rotschlamm ausgetreten sei. Auf dem Bild vom Juni sei "klar ersichtlich, dass der Schlamm bereits herausfloss und Teile des Dammes des zehnten Beckens beschädigt sind", betonte Andreas Beckmann, Direktor des WWF-Donauprogramms. Letztlich sei die Mauer zwar an einer anderen Stelle gebrochen, aber das Foto sei "ein klarer Beweis, dass das Becken einer dringenden Inspektion bedurfte". Der Rotschlamm auf dem Foto sei "sichtbar in den Kanälen, die das Firmengelände umgeben". Die rote Farbe stammt vom Eisenoxid, das in Wasser unlöslich ist.

Das desolate Giftschlamm-Becken gab auch am Samstag noch etliche Rätsel auf. Vor allem schien niemand zu wissen, wie viel Rotschlamm sich noch darin befindet. Die Angaben reichten laut WWF von 500.000 bis zu 20 Millionen Kubikmeter. "Es gibt noch keine verlässlichen Daten über das Gesamtvolumen des Beckens", brachte es Beckmann auf den Punkt. Laut der MAL AG, dem Betreiber des Aluminiumwerks, sollen nur etwa zwei bis drei Prozent des Inhalts ausgeflossen sein. "Das würde bedeuten, dass das ganze Becken rund 20 Millionen Kubikmeter fasst, was mir ein bisschen viel erscheint."

Außerdem sei noch unklar, wie viel vom verbliebenen Rotschlamm flüssig bzw. nahezu fest sei - d.h. wie viel der Menge tatsächlich noch ausfließen könne. Würden sich die neuen Risse zu einem Dammbruch auswachsen, könnten bis zu 500.000 Kubikmeter Schlamm auslaufen, erklärten Experten von der Technischen Universität in Budapest. Da es sich diesmal um eine dickflüssigere Substanz handle, würde sich diese aber langsamer ausbreiten als die Schlammlawine vom Montag, berichtete die dpa.

Kein Einfluss auf Österreich

Auf Österreich hat die Umweltkatastrophe in Ungarn - vorerst - keinen Einfluss. Laut den Meteorologen der ZAMG in Wien zieht der rote Staub aus dem Krisengebiet in den kommenden 24 Stunden nicht westwärts über die Grenze. "Es herrscht Hochdrucklage mit nur sehr schwachen Winden aus Nordost. Zusätzlich ist der Schlamm feucht, daher sind die Inhaltsstoffe vorerst gebunden und können nicht mit der Luftströmung verfrachtet werden", hieß es am Samstag in einer Aussendung.

Durch die Schlammlawine vom Montag wurden sechs Menschen getötet und 150 verletzt. 300 Häuser wurden zerstört. Das Aluminiumunternehmen verteidigte sich indes gegen Kritik, bei den Erhaltungsarbeiten zu lasch gewesen zu sein. Man habe alle technischen Auflagen erfüllt und in den vergangenen zehn Jahren mehr als 110 Millionen Euro für die Erhaltung und Renovierung des Werkes ausgegeben. Die Fabrik, in der die Arbeit stillsteht, beschäftigt 3000 Menschen. (red/APA)