Seit diesem Herbst testen fünf deutsche Unternehmen in Deutschland anonyme Bewerbungen. Der Bewerbungsprozess soll mittels standardisierten Bewerbungsformulars vor sich gehen, in dem nur Informationen zu relevanten Qualifikationen angegeben werden müssen. Tabu sind Name, Alter, Geschlecht oder Foto im Lebenslauf. In anderen europäischen Staaten wie Belgien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz oder Schweden hat man damit schon erste Erfahrungen. In den USA sind fotolose Bewerbungsschreiben schon lange Usus.

Procter & Gamble nimmt in Deutschland mit seinem Gillette-Werk in Berlin an dem Pilotprojekt teil. Das Unternehmen habe bereits gute Erfahrungen mit anonymisierten Bewerbungen im Rahmen eines computergestützten Bewerbungsverfahrens für Führungsnachwuchskräfte, so Jörg C. Uhl, Leiter Unternehmenskommunikation und Außenbeziehungen. Auch L´oréal, das zweite von insgesamt fünf teilnehmenden Unternehmen, gibt an schon jetzt mit sehr gemischten Teams kreativ zu arbeiten: "Das war der Grund, warum L'oréal Deutschland sich an einem Projekt beteiligen wollte, das mögliche unbewusste Einflussfaktoren von Personalisten bei der Auswahl von Bewerbern vermeidet", erklärt Human Ressource Director Patrick Lissmann die Beweggründe.

Zauberwort Diversity

Dass unbewusste Vorurteile Entscheidungen durchaus beeinflussen können, zeigte eine Anfang des Jahres durchgeführte Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Die Auswertung ergab, dass Bewerber mit türkischem Namen bei gleicher Qualifikation eindeutig Nachteile hatten und seltener zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurden und das in Zeiten, wo sich Unternehmen gerne mit dem Begriff "Diversity" schmücken. Auch die beiden teilnehmenden Firmen sehen gerade die Buntheit der Mitarbeiterkonstellation als wichtigen Faktor für möglichst hohe schwarze Zahlen. 

"Wir glauben, dass Vielfältigkeit und Integration Schlüssel unseres Geschäftserfolges sind", so Uhl. Ähnlich sieht Lissmann die Vorteile: Unser Business besteht darin, neue Produkte für weltweit sehr unterschiedliche Zielgruppen zu entwickeln und aus diesem Grund sind wir sehr weit im Hinblick auf Förderung von Diversity." Das Pilotprojekt werde zeigen, ob die anonyme Bewerbung ein geeignetes Mittel dazu ist. Manuela Vollmann, Geschäftsführerin der Non-Profit-Frauenorganisation abz*austria gibt ihnen Recht: "Unternehmen werden zunehmend erkennen müssen, dass gerade die Vielfalt Nutzen bringt. Immer mehr Unternehmen arbeiten bereits gerne mit Migranten, Frauen und älteren Arbeitnehmern und sehen diesen Nutzen."

Wesentliches im Fokus

"Der Vorteil ist das Ausschalten unbewusster Entscheidungsfaktoren, also eine völlige Unvoreingenommenheit desjenigen, der die Bewerbung beurteilt", so Lissmann. Die anonyme Bewerbung rücke das Wesentliche, nämlich Angaben zur Ausbildung und zum beruflichen Werdegang ins Zentrum der Beurteilung. "Wir nehmen an der Studie teil um zu testen, ob ein anonymisiertes Verfahren auch den lokalen Gegebenheiten und Prozessen an Produktionsstandorten gerecht wird", so Uhl. Von vielen Seiten habe es kritische Stimmen zur Sinnhaftigkeit gegeben. "Wir wollen durch Daten und Erfahrung zu einer Versachlichung beitragen und auch dazu ein einfaches, praktikables und unbürokratisches Verfahren zu finden."

Die möglichen Vor- und Nachteile für sein Unternehmen wägt Mario Trusgnach, Geschäftsführer des großen Personalbereitstellers Adecco in Österreich ab: "Durch die Möglichkeit sich anonym zu bewerben, werden mehr Bewerber den Mut finden für eine Position zu kandidieren. Das würde für uns bedeuten, dass wir mehr Auswahl haben. Anderseits könnte das auch dazu führen, dass andere wichtige Informationen sowie zum Beispiel die Zweisprachigkeit fehlen würden."

Schritt Richtung Anti-Diskriminierung

Aber bedeuten anonyme Bewerbungen abseits vom Begriff "Diversity" auch tatsächlich mehr Chancen für Menschen, die häufig am Arbeitsmarkt diskriminiert werden - Migranten, Frauen, Ältere? Vollmann gibt sich skeptisch: "Ich kann mir vorstellen, anonyme Bewerbungen als eine Möglichkeit innerhalb eines Gesamtpackages auszuprobieren. Es kann aber nur ein Schritt auf dem Weg gegen Diskriminierung sein und ist sicherlich nicht ohne entsprechende Änderungen von wirtschaftlichen und politischen Strukturen realisierbar." Sie will sich die Ergebnisse zukünftiger Versuchsstudien sehr genau ansehen.

Vollmann hat die Erfahrung gemacht, dass sich schon jetzt viele Menschen ohne Angabe von Familienstand und Geburtsdatum bewerben. "Natürlich können erfahrene Personalisten das Geburtsdatum - auch ohne dessen Angabe im Lebenslauf - auf Grund von Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten zumindest einschätzen." "Viele Bewerber haben die Befürchtung wegen ihrer Herkunft oder ihren Alter aus der Vorauswahl auszuscheiden. Anonyme Bewerbungen sollten die Bewerber davor schützen diskriminiert zu werden. Man muss jedoch sagen, dass Herkunft des Names, Alter oder Geschlecht für uns schon jetzt keine Rolle spielen", so Trusgnach.

Gegenargument Bürokratie

Den oft als Kontra-Argument gebrauchten bürokratischen Mehraufwand von anonymisierten Bewerbungsverfahren schätzt Vollmann gering ein: "Viele Firmen arbeiten schon mit Online Ausschreibungen, die entsprechenden Formulare sind leicht zu ändern. Qualifikationen und Erfahrungen sind weiterhin ersichtlich." Trusgnach sieht das anders: "Für manche Positionen sind Informationen wie Alter oder Geschlecht relevant - beispielsweise bei schweren körperliche Arbeiten - solche Informationen nicht zu haben, könnte einen größeren Zeitaufwand für die Gespräche bedeuten. Anderseits haben wir ja immer mehrere Positionen offen und wir könnten den Bewerber andere Möglichkeiten anbieten oder sie für andere Stellen in Evidenz behalten."

Beobachtungsphase

Auf die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Pilotprojekt in Deutschland wartet man in Österreich durchaus mit gewisser Spannung: "Wir warten sehr gespannt auf die Ergebnisse, die auch für L'oréal Österreich interessant und richtungweisend sein werden", so Lissmann. Trusgnach formuliert es so: "Neue Erfahrungen bringen uns immer weiter. Sollte es gute Ergebnisse bringen, haben wir alle davon einen Gewinn, wenn es scheitert, sind wir trotzdem eine neue Erfahrung reicher." (Marietta Türk, derStandard.at, 14.10.2010)