Chemnitz - Kreuzfahrtschiffe und Sozialismus - keine gleich auf den ersten Blick naheliegende Verknüpfung, sollte man meinen. "Das war für mich eine merkwürdige und widersprüchliche Kombination", gibt auch Andreas Stirn von der TU Chemnitz zu, dessen Dissertation unter dem Titel "Traumschiffe des Sozialismus. Die Geschichte der DDR-Urlauberschiffe 1953 bis 1990" im Metropol Verlag erschienen ist. Genau diese vermeintliche Unvereinbarkeit war aber der Anzreiz, sich mit dem Thema zu beschäftigen: "Ich wollte wissen, wie beides zusammenpasste, obwohl es nicht zusammenzupassen schien. Da es keine wissenschaftliche Literatur zum Thema gab, musste ich selbst ein Buch darüber schreiben", sagt Stirn, der auf das Thema stieß, weil sein Vater einmal die Teilnahme an einer solchen Kreuzfahrt erwähnt hatte.

"Zwischen 1960 und 1990 schickte die DDR einige hunderttausend verdiente Werktätige auf drei Urlauberschiffen nach Leningrad, Helsinki und Havanna", berichtet der Autor. "Vor allem die staatstragende Klasse der Arbeiter sollte durch das Versprechen eines besonderen Reiseerlebnisses zur Steigerung ihrer Arbeitsleistungen animiert werden. Für die meisten DDR-Bürger blieben die Schiffe jedoch unerreichbar ferne Sehnsuchtsorte: ein Versprechen von Reisefreiheit und Überfluss, das zugleich auf die alltäglichen Grenzen und Mängel des Staates verwies", so Stirn weiter. 

Als die DDR noch reiselustig war

Reiner Goodwill war es nicht, der die DDR-Führung Ende der 50er Jahre zur Aufnahme eines Kreuzfahrtprogramms bewog: Täglich verließen hunderte DDR-Bürger das Land gen Westen. Die Staatsführung wollte ein Signal setzen, sie verkündete den Bau eines Kreuzfahrtschiffes für Arbeiter und Bauern. Zudem wollte sie beweisen, dass der Wohlstand in der DDR wächst. Noch bevor das erste selbstgebaute "Traumschiff", die "Fritz Heckert", vom Stapel lief, kaufte die DDR 1959 einen schwedischen Passagierdampfer, den sie in "Völkerfreundschaft" umtaufte. Als das Schiff Anfang 1960 in See stach, brachten die Zeitungen ganz ungewohnte Motive: DDR-Bürger lässig mit Sonnenbrille vor Pyramiden oder auf der Akropolis.

Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 war es damit vorbei. "Die Traumschiffe waren wenige Monate nach ihrer Indienststellung nicht mehr das, was sie sein sollten: ein Symbol für Wohlstand und Reisefreiheit", erklärt Stirn. Die sicherheitspolitisch-ideologischen Grenzen des Kreuzfahrtprojektes zeichneten sich schon vor dem Mauerfall ab: "Die Haltung der Partei- und Gewerkschaftsführung gegenüber den Kreuzfahrten, die zunächst vor allem ins kapitalistische Ausland gingen, war höchst ambivalent: Einerseits spekulierten die Funktionäre, etwas vom Glanz der Schiffe könne auch auf die eigene Herrschaft abfärben. Zugleich fürchteten sie, die Konfrontation mit dem höheren Lebensniveau, gerade in den skandinavischen Ländern, könnte bei den Passagieren die Zweifel an der Überlegenheit des Sozialismus mehren."

Das Programm wird zum Bumerang

Stirn weiter: "Mit großem Aufwand und nicht immer durchschlagendem Erfolg versuchte die Führung der SED sowie des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, das Risiko eines Kontrollverlustes zu minimieren. Noch bevor das erste Schiff in See gestochen war, begann das Ministerium für Staatssicherheit, die geheimdienstliche Überwachung der Urlauberschiffe vorzubereiten. Mit dem Mauerbau kam zur ideologischen Grenze die physische aus Stacheldraht und Minenfeldern hinzu. Eine Schiffsreise bot nun eine der letzten relativ ungefährlichen Fluchtmöglichkeiten." Wagemutige ließen sich von Booten des Bundesgrenzschutzes aus der Ostsee fischen oder sprangen im Bosporus über die Reling. "Über die elektronischen Medien der Bundesrepublik wurden diese oft spektakulären Fluchten auch innerhalb der DDR bekannt und konterkarierten die schönfärberischen Darstellungen der DDR-Medien, die die Schiffe stets als Orte der Harmonie und des Vergnügens präsentierten", erklärt Stirn und fügt hinzu: "In der Folge wurden risikoreiche Routen aus dem Programm genommen, die Reisekandidaten im Vorfeld mehr oder weniger gründlich durch das Ministerium für Staatssicherheit überprüft und die Passagiere an Bord von inoffiziellen und hauptamtlichen Mitarbeitern überwacht."

"Ebenso bedeutsam wie die propagandistischen Verwertungsmöglichkeiten der Schiffsreisen war deren Einbindung in das Privilegiensystem, mit dem die SED die Funktionsträger ihrer Herrschaft bei Laune hielt", berichtet Stirn. Jährlich seien einige hundert verdiente Parteiarbeiter mit einer Kreuzfahrt versorgt worden. "Betriebe wie die Wismut oder das Automobilwerk Eisenach bekamen gesonderte Kreuzfahrtkontingente zugeteilt." Der Autor untersucht den Betrieb der Schiffe unter den Bedingungen von Mauerbau und Misswirtschaft, analysiert die mit ihnen verknüpfte Propaganda und bewertet deren Erfolge. Damit will er zur Analyse der zwischen Massenmobilisierung und Privilegierung angesiedelten "weichen" Herrschaftstechniken der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) beitragen. (red)