16. Dezember 2009: Spurensicherung im Bezirksgericht von Hollabrunn. Hier hatte der angeklagte Mittelschullehrer eine Rechtspflegerin erschossen, die mit seinem Scheidungsverfahren gar nichts zu tun hatte.

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Korneuburg - "Ich wollte ihr einmal das Gefühl der Hilflosigkeit geben, das ich jahrelang selbst verspürt habe", sagt der 58-jährige Mittelschullehrer. Dieses Ohnmachtsgefühl wollte er eigentlich einer Richterin am Bezirksgericht Hollabrunn vermitteln, von der er sich während seines Scheidungsverfahrens ungerecht behandelt fühlte - Staatsanwalt Stefan Dunkl sagt, er habe sie umbringen wollen.

Der 58-Jährige Johann P. war am 16. Dezember des Vorjahres in das Bezirksgericht Hollabrunn gekommen - in mehrfacher Hinsicht geladen. Zum einen emotionell, da er die Nacht davor wieder einmal seinen Scheidungsakt studiert hatte. Zum anderen habe er eineinhalb Tage lang getrunken und nicht geschlafen, berichtet er. Geladen war auch die Pistole, die er in die Tasche seiner Jogginghose eingesteckt hatte.

Eine halbe Stunde irrte er im Gericht herum, suchte nach der Richterin, die gerade in einer Verhandlung war. Schließlich tauchte er wieder in der Einlaufstelle auf und machte Radau. Eine Mitarbeiterin holte ihre Vorgesetzte, eine 42-jährige Rechtspflegerin. Diese entschied schließlich, dass es genug sei, man solle die Polizei rufen. Da zog Johann P. die Waffe und schoss der Leiterin der Einlaufstelle aus 25 Zentimetern Entfernung in den Kopf.

"Es war Rauch"

Ein Unfall, sagt der Angeklagte, "ich kann mich nur erinnern, dass ein Schuss fiel, es war Rauch ..." Es war Mord, sagt Staatsanwalt Dunkl. Und versuchter Mord - denn eigentlich habe er ja die Richterin umbringen wollen.

Nur einschüchtern, sagt Johann P., beziehungsweise habe er ein paar Tage vor der Tat erfahren, dass man eine Richterin auch ablehnen könne. Da habe er sich gedacht: "Wenn ich da rüberfahr' und einen Radau mache, ist sie abgelehnt."

Der Staatsanwalt erinnert daran, dass im Haus von Johann P. eine Schrotpatrone gefunden wurde, auf der ein Datum und ein Name eingraviert waren: Der Name eines Richters, der vor Jahren ein Verfahren gegen den Lehrer geführt hatte und der von Johann P. ebenfalls bedroht worden war.

Und mehrere Zeugen berichten, dass der Angeklagte nach den Schüssen wieder ins Gericht gekommen sei und "das tut mir leid" gesagt habe - aber auch: "Die wollte ich nicht. Ich wollte die Richterin."

Eine entscheidende Frage bei diesem Verfahren ist nun: Wie angetrunken war der Mittelschullehrer zum Zeitpunkt der Tat wirklich? Ein Alkoholtest danach hatte 2,8 Promille ergeben. Allerdings: Keiner der Gerichtsangestellten hatte bemerkt, dass Johann P. gelallt, geschwankt oder dass er eine Fahne gehabt hätte. Während der Befragung durch den Vorsitzenden Richter Gernot Braitenberg sagt der Angeklagte auch selbst, er habe keinerlei Probleme gehabt, die mehr als 14 Kilometer mit dem Auto nach Hollabrunn zu fahren.

Ob er aggressiv werde, wenn er viel Alkohol trinke, fragt Richter Braitenberg nach. Der Angeklagte meint: "Da wirke ich eher belustigend, weil ich ein sehr offener Mensch bin."

Viele, die bei Gericht mit ihm zu tun hatten, erlebten ihn allerdings weniger belustigend: Johann P. sei früher schon alkoholisiert ins Gericht gekommen, habe immer wieder geschimpft. Und er galt derart als Querulant, dass es bereits eine Weisung von oben gab: Telefonate mit ihm könnten jederzeit abgebrochen werden.

Johann P. erklärt, er habe immer kämpfen müssen, sei in keinen gesitteten Verhältnissen aufgewachsen und immer wieder mit Unrecht konfrontiert worden. Etwa als ihm als jungem Soldaten kurzfristig die Staatsbürgerschaft entzogen worden war - oder bei seinen insgesamt vier Scheidungen.

Der Prozess wird heute, Freitag, fortgesetzt. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 15. Oktober 2010)