Der neue Generalsekretär der ÖVP hat bei seinem ersten größeren Einsatz gut gekehrt, der Kongress seiner Partei am Wochenende ist aalglatt über die Linzer Bühne gegangen. Am erster Tag durften die Delegierten Dampf ablassen und sich dabei kühn vorkommen, am zweiten Tag verpasste ihnen der Bundeskanzler eine Seelenmassage, die der tiefen Sehnsucht nach innerparteilicher Harmonie zu Lasten breiter Schichten der Bevölkerung auf billige, aber erwartungsgemäß wirksame Weise entgegenkam. Dankbar schnappten sie die Phrasen auf - "Ohne das Miteinander beim Lösen von Herausforderungen lässt sich keine gemeinsame Zukunft bauen" -, auch wenn sie in krassem Gegensatz zur Wahrheit standen: "Ich habe die ausgestreckte Hand (der Sozialpartner) nicht angenommen? Im Gegenteil, beide Hände strecke ich aus". Und je größer der Nonsens war, den er servierte - wie, angesichts des demografischen Wandels gelte es, den Begriff "sozial" sorgfältig neu zu definieren -, desto größer war der Beifall.

Demografischer Wandel begleitet die Gesellschaft permanent, er ist selbstverständlich bei jedem Pensionssystem einzukalkulieren. Aber den Inhalt des Begriffs "sozial" werden die Bürger für sich auch künftig kaum nach ihrer Position auf der Alterspyramide, also nach ihrem Lebensalter, sondern wohl auch weiterhin nach ihrer Position und ihren Chancen in der Arbeitswelt definieren. Davon hängt ab, wie es dem Einzelnen auf seiner Stufe der demografischen Pyramide ergeht. Aber gemeint hat Schüssel ja auch nur, so sozial, wie es heute zugeht, darf es nicht weiter gehen.

Dass Schüssel den Sozialpartnern dafür beide Hände entgegenstreckte, konnten alle sehen, und auch aus welchen Grund: Um ihnen die Daumen aufs Auge drücken zu können, wenn sie ihm mit ihren Vorschlägen zu nahe treten. Dass der Bundeskanzler, der das Desaster um die Pensionsreform angerichtet hat, in Linz versprach, er werde sich nun "persönlich darum kümmern" und dafür auch noch begeisterte Ovationen erhielt, gehört zu den Juxeinlagen österreichischer Innenpolitik.

Die inszenatorische Zuspitzung des Parteitages auf den Führer, der sich als die Verkörperung der Sehnsucht der Massen präsentiert - "Ich habe euren Wunsch gehört. Das nehme ich mit und auf mich. Die Stimme für den sozialen Zusammenhalt, die will und muss ich selbst sein" - war die Fortsetzung der seit längerem erkennbaren Bemühungen Wolfgang Schüssels, nicht als banaler Kanzler, sondern als eine Art Erlöser zu erscheinen, gesandt, das Volk von der Schmach zu befreien, ein paar Jahre lang nicht von der Volkspartei regiert worden zu sein.

Hat sich der erste Versuch, die großspurig angekündigte "Wende", auch als veritabler Bauchfleck erwiesen, weshalb konservative Rhetorik den Ausdruck seit längerem meidet, gibt Schüssel nicht auf. Für Nachhaltigkeit, wo es darum geht, persönlichem Ehrgeiz sogar gegen den Koalitionspartner Befriedigung zu verschaffen, wird er in seiner Partei angehimmelt; für politische Sachleistungen eher weniger.

Die trauernden Hinterbliebenen der Sozialpartnerschaft mag ob solcher Entwicklungen das blanke Grauen erfassen, aber sie werden sich darein schicken müssen: Die Konsensdemokratie, die das Land ein gutes halbes Jahrhundert prägte, läuft aus, jedenfalls wenn es nach Wolfgang Schüssel geht. Salbungsvolle Suada kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich für ihn Gemeinsamkeit in der Aufforderung zum Schulterschluss erschöpft. Je länger die anderen brauchen, sich dieser Realität zu stellen, desto erfolgreicher wird er damit sein. Schon verkündete er, auch "Wien noch zu knacken". Doch wohl nicht mit Knacker Finz?!(DER STANDARD, Printausgabe, 30.4./1.5.2003)