Jerusalem/Washington/Frankfurt/Zürich/Berlin/Paris - Die israelische Regierung von Ministerpräsident Ariel Sharon setzt nach israelischen Presseberichten darauf, dass der neue palästinensische Ministerpräsident Mahmud Abbas (Abu Mazen) scheitern wird. Sie fühle sich dabei durch amerikanische Politiker, insbesondere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, bestärkt, schrieb die Tageszeitung "Haaretz". Abbas und sein Sicherheitschef Mohammed Dahlan seien für Sharons Regierung Teil einer Autonomiebehörde, "die vor einem Neuanfang beseitigt" werden müsse. Israel werde keinen amerikanischen Druck zu spüren bekommen, wenn es sich der Verwirklichung des Nahost-"Fahrplans" widersetze.

Sharon selbst hatte im Jänner im Gespräch mit dem US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" gesagt, das Nahost-Quartett (USA, UNO, EU, Russland) sei "nicht ernst zu nehmen". Es sei "ein Nichts". In Washington hat der einflussreiche Fraktionschef der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, Tom DeLay, den Fahrplan, der am Mittwoch Sharon und Abbas übergeben worden ist, als "Torheit" abgelehnt und die palästinensische Führung mit oder ohne Abbas als "Tochtergesellschaft des Terrors" bezeichnet. Die USA müssten unbeirrt hinter Israel stehen, forderte er.

Sharon hat von der palästinensischen Führung verlangt, dass sie schon jetzt das "Ende des Konflikts" ausruft und auf das "Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr" gemäß der UNO-Resolution 194 verzichtet - eine Forderung, auf die Abbas nach Auffassung politischer Beobachter niemals eingehen kann.

Die lang erwartete Präsentation des Friedens-"Fahrplans" des Nahost-"Quartetts" (USA, UNO, EU, Russland) stößt in internationalen Pressekommentaren vom Freitag überwiegend auf Skepsis.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Die neue palästinensische Regierung ist im Amt und der Friedensplan des Nahost-Quartetts übergeben. Eigentlich müsste sich jetzt Zuversicht ausbreiten. Doch die Möglichkeiten, die Ministerpräsident Abbas und sein Staatsminister für Sicherheitsfragen Dahlan haben, sind begrenzt. Palästinenser, die nicht genug zu essen haben und arbeitslos sind, kümmern die Reden der Abgeordneten nur wenig. Bisher bauten die israelischen Soldaten keinen einzigen Kontrollpunkt ab, was das Leben vieler deutlich erleichtern würde. Tatsächlich nahmen mit der Veröffentlichung des 'Fahrplans' die Attentatsdrohungen sogar noch zu. Der jüngste Selbstmordanschlag in Tel Aviv zeigt, dass es die Armee nicht einmal mit ihrem engmaschigen Zaun um den Gaza-Streifen schafft, den Terror von Israel fernzuhalten. Die israelische Regierung lässt nicht erkennen, dass sie ihre bisherige Politik ändern will. (...) Israel machte in Washington angeblich 15 Einwände geltend. Schon wird von einer geheimen Übereinkunft der beiden Seiten gesprochen, die die im Plan enthaltenen Termine aufgibt. Der 'Fahrplan' des Nahost-Quartetts werde offenbar langsam zu einem amerikanischen Sonderplan, heißt es."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Wunder sind von dieser neuen Friedensinitiative vorerst nicht zu erwarten - das lehrt die bittere Erfahrung mit ungezählten früheren gut gemeinten Plänen zur Lösung des Palästinakonflikts; zu erinnern wäre insbesondere an das Schicksal des so genannten Mitchell-Plans und daran anschließend des Tenet-Plans. Die Versuche scheiterten, weil die Führungen auf beiden Seiten nicht den Willen aufbrachten, den Teufelskreis von rücksichtsloser Gewalt und Gegengewalt durch glaubwürdige, vertrauensbildende Schritte zu durchbrechen. (...) Die Vertreibung Saddam Husseins von der Macht im Irak hat übrigens auch zur Folge, dass zumindest eine Finanzquelle für die palästinensischen Terroristen versiegt ist. (...) Gewiss kann Sharon immer mit der Möglichkeit rechnen, dass palästinensische Fanatiker ihm bequeme Argumente liefern, weiterhin jedem Ansatz zu einer politischen Lösung des Konflikts aus dem Weg zu gehen. Doch wenn Sharon es wirklich ernst meint mit seinem Einverständnis zur Minimalkonzession eines Siedlungsstopps in den besetzten Gebieten, dann müsste er sich umgehend von jenen rechtsnationalistischen Kräften in seiner Koalition trennen, die jedes Entgegenkommen in der Siedlungsfrage kategorisch ablehnen."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Schon macht sich die List der Geschichte bemerkbar: Die Siege von Bush und Sharon setzen die Sieger unter Druck. Bush muss aus Gründen der Glaubwürdigkeit nun viel für eine Lösung des Konflikts tun. Und Israels Premier muss beweisen, dass er mit der Isolierung Arafats nicht nur auf Zeit spielte. Sharon gerät jetzt in die Situation, in der Rabin, Peres und Barak waren: Er darf nicht jeden Terrorschlag mit heftigen Gegenschlägen beantworten. Er muss sich den Ärger der Siedler einhandeln. Und er weiß: Wenn er Abbas in Augen der Palästinenser delegitimiert, betreibt er das Geschäft Arafats. Denn der wartet in den Kulissen auf das Scheitern seines Premierministers, um selbst wieder die Bühne zu betreten. Die Terrorgruppen haben sich mit den jüngsten Anschlägen gegen den neuen Premier positioniert und werden ihre Attacken in den nächsten Wochen noch intensivieren. Arafat wird alles tun, um die Macht über die meisten Sicherheitsapparate zu behalten. Und viele Rechte in Sharons Kabinett wollen Abbas scheitern sehen, weil sie einer Zweistaatenlösung zutiefst misstrauen."

"La Croix" (Paris):

"Der Friedensfahrplan sieht bis 2005 eine definitive und globale Regelung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern vor. Die Ziele sind klar und weitreichend: ein unabhängiger palästinensischer Staat, Sicherheit für Israel, Beendigung des Terrorismus, Ende der Kolonisierung und Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten. Die neue Lage im Irak reicht nicht aus, um die Situation im Nahen Osten zu verändern. Auch nicht die Amtseinführung des neuen palästinensischen Premierministers Abbas. Erforderlich ist der politische Wille der Führer und der Bevölkerungen, die Angelegenheit zu einem guten Ende zu führen".

"Süddeutsche Zeitung":

"Abbas steht vor einer Herkules-Aufgabe: Er muss den USA, der EU und Israel beweisen, dass es ihm ernst ist mit dem Stopp der Intifada und der Verwirklichung des Friedensfahrplans. Auf der anderen Seite muss Abbas, der in der palästinensischen Bevölkerung weit weniger populär ist als Arafat, für sein Volk konkrete Verbesserungen im Alltag schaffen, um wiederum dessen Unterstützung zu gewinnen. Abbas befindet sich auf einer Gratwanderung. In seinen ersten öffentlichen Äußerungen forderte er ein Ende der israelischen Besatzung - was dem Wunsch der palästinensischen Bevölkerung entspricht. Zugleich verlangte er ein Ende der Terroranschläge und kündigte drastische Maßnahmen gegen illegalen Waffenbesitz an - was dem Wunsch Israels, der USA und Europas entspricht. (...) Hamas und Islamischer Dschihad sowie die Terrorgruppe Al-Aksa-Brigaden wollen gegen Abbas opponieren, da er ein 'Verräter der palästinensischen Anliegen' sei."

"Stuttgarter Zeitung":

"Bush übernimmt die Rolle eines Friedensmachers im Nahen Osten nur zögerlich. Dafür sind nicht in erster Linie die unmittelbaren Hindernisse vor Ort verantwortlich, sondern vor allem innenpolitische Motive. Die religiösen Konservativen, die zu Bushs wichtigsten Unterstützern gehören, lehnen gemeinsam mit jüdischen Gruppen jeden Druck auf Israels Premier Sharon ab, ohne dessen Nachgeben Fortschritte nicht erwartet werden können. Die stärksten Befürworter dagegen sind Demokraten und Linke, von denen Bush selbst in einem Erfolgsfall nichts erhoffen kann. Der Präsident muss deswegen damit rechnen, dass er politisch durch zu großen Druck auf Israel mehr verlieren kann als durch einen Misserfolg bei der Friedenssuche."

"The Guardian" (London):

"Abbas könnte ein moderner Salomon sein und doch völlig erfolglos bleiben, wenn Sharon nicht bereit ist, die in der Theorie so oft beschworenen 'schmerzhaften' Entscheidungen auch wirklich umzusetzen. Das bedeutet, alles zu tun, was der Fahrplan hinsichtlich Rückzügen, der Schließung von Siedlungen, dauerhaften Grenzen und so weiter vorsieht. Dies wiederum würde dauerhaften Druck auf Sharon von höchster amerikanischer Regierungsebene erfordern. Ob die Regierung Bush, der das Engagement seines Vorgängers fehlt und die hinsichtlich des auf Israel auszuübenden Drucks zerstritten ist, ihr Friedensgelöbnis wirklich wahr machen wird, ist zweifelhaft." (APA)