Ein Urteil ist ergangen, der Fall allerdings ist so offen wie noch nie: Die Konsequenzen aus dem Schuldspruch gegen Cesare Previti werden endgültig zeigen, wie es um die viel beschworene Zweite Republik in Italien steht. Ist der "gestürzte Staat" (La Repubblica) nach mehr als einer Dekade der Korruptionsbekämpfung juristisch, politisch und moralisch wieder auf den Beinen? Oder war die "Aktion Saubere Hände" letztlich nutzlos, die Zweite Republik eine Fortsetzung der Ersten mit neuem Personal und unter Verwendung anderer Mittel?

Die politischen Reaktionen auf das Urteil sprechen eher für Letzteres: Premierminister Silvio Berlusconi spricht von einem Staatsstreich der Justiz, die mit der "Logik von Putschisten" vorginge. Seine Sekundanten in Regierung und Parlament springen ihm schamlos bei. Niemandem in der Mitte-rechts-Koalition fiele es auch nur ein, sich einer Wertung zu enthalten und auf die Unabhängigkeit der Justiz zu verweisen.

Im Gegenteil: Gaetano Pecorella, der Vorsitzende des Justizausschusses im römischen Parlament und praktischerweise auch gleich der Rechtsanwalt Berlusconis, will ein Gesetz beschließen lassen, das alle Verfahren gegen Politiker aussetzt. In einem Akt legislativer Rechtsbeugung versucht Berlusconi damit genau das, was er den verhassten Richtern vorwirft: einen juristischen Staatsstreich.

Das Urteil gegen Previti fiel in der Nacht zum 30. April. Exakt zehn Jahre zuvor trieben aufgebrachte Römer Bettino Craxi, den Paten der italienischen Korruptionsrepublik, mit Münzen und Flüchen aus seinen Ämtern. Ein Zufall? Mag sein. Aber auch eine schöne Symbolik: Berlusconi nimmt den italienischen Staat für seine Zwecke in Geiselhaft - und die politische Praxis seines verjagten Mentors kehrt wieder zurück. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2003)