Wien - Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Frankreich wegen der massenweisen Abschiebung von Roma nach Rumänien und Bulgarien sei "nicht eingestellt", sondern "nur suspendiert", betonte Justizkommissarin Viviane Reding am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal des ORF-Radios. Paris habe zwar vor Ablauf eines von Brüssel gestellten Ultimatums Vorschläge vorgelegt, wie die EU-Richtlinie zum freien Personenverkehr von EU-Bürgern voll in französisches Recht umgesetzt werden soll, und einen entsprechenden Zeitplan. Noch seien die Gesetzesänderungen aber nicht umgesetzt.
"Historische Wende"
"Es geht nicht, das Europäisches Recht nicht in nationales Recht übersetzt wird", strich die aus Luxemburg stammende Reding hervor. Die EU-Kommissarin sieht eine "historische Wende" in der Europapolitik, denn bisher habe die EU noch nie ein Vertragsverletzungsverfahren aufgrund von Bürgerrechten angestrengt. "Das Europa der Wirtschaft hat jetzt ein Pendant: Das Pendant der Rechte des Einzelnen", erklärte Reding.
Wenn sie im Fall der kollektiven Ausweisungen der Roma, die als rumänische und bulgarische Staatsbürger auch EU-Bürger sind, gewartet hätte, hätte sie "die nächsten Jahre nicht mehr über Bürgerrechte reden brauchen", zeigte sich Reding im Ö1-Morgenjournal überzeugt. Laut der Kommissarin ist im kommenden April eine EU-"Veranstaltung" auf Ministerebene geplant, wo die nationalen Hilfspläne für Roma evaluiert werden sollen.
Ihren Angaben zufolge will der französische Senat im Jänner über die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen beraten; im Frühjahr solle deren Umsetzung beginnen. Darüber, ob bis dahin weitere kollektive Abschiebungen vorgenommen werden könnten, sagte Reding nichts.
8.000 Roma abgeschoben
Frankreich hatte seit Jahresbeginn rund 8.000 Roma in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien abgeschoben. Auch andere EU-Länder üben eine derartige Praxis, wenn auch in geringerem Ausmaß. Die EU-Regeln schreiben allerdings eine strenge Einzelfallprüfung und einen umfassenden Rechtsschutz vor.
Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie sieht unter anderem auch vor, dass der Staat vor einer Ausweisung eine Reihe von Punkten berücksichtigen muss, etwa die Dauer des Aufenthalts, Alter, Gesundheitszustand, familiäre und wirtschaftliche Lage des Betroffenen, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat. (APA)