Die Telefonzelle steht am Brückenkopf der Nibelungenbrücke. Am anderen Ende der Leitung ist ein Tonband, auf dem Fallberichte über Alltagsrassismus und Zivilcourage draufgesprochen wurden.

Foto: Der Beweis für Dinge, die nie gesagt wurden

Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal eine Telefonzelle betreten haben? Na eben. Seit dem Aufkommen von Handys und Internetcafés sind Telefonzellen weitgehend aus dem Gebrauch und somit aus dem Stadtbild verschwunden. Nicht so in Linz, wo Ende August eine neue Telefonzelle der besonderen Art aufgestellt wurde: Ohne Ziffernblatt, dafür mit Eigeninitiative.

Neugierde im öffentlichen Raum

Die Telefonzelle steht am Brückenkopf der Nibelungenbrücke und gibt alle zwei Minuten einen Klingelton ab, der im Umkreis von 40 Metern zu hören ist. Der Passant kann nun, so er neugierig genug ist, die Telefonzelle betreten und den Hörer abheben. Am anderen Ende der Leitung ist ein Tonband, auf dem Fallberichte über Alltagsrassismus und Zivilcourage draufgesprochen wurden.

Die rund sechzig Geschichten, die jeweils in etwa so lange dauern wie ein Pop-Song, wurden den Rassismus-Berichten von ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) aus den letzten zehn Jahren entnommen. Laut den Projektbetreibern fungiert die Telefonzelle wie "eine Kapsel des Privaten im öffentlichen Raum", analog zu rassistischen Zwischenfällen, die mitunter ebenfalls als eine private Erfahrung mitten in der Öffentlichkeit erlebt werden.

Von Uni-Projekt zu öffentlicher Intervention

Die Projektbetreiber, das sind die drei Studierenden an der Kunstuniversität Linz, Shervin Afshar, David Brunnthaler und Henning Schulze. Das Projekt nennt sich „Der Beweis für Dinge, die nicht gesagt wurden", und entwickelte sich aus einer Lehrveranstaltung heraus. "Bald wurde uns klar, dass das Projekt über das Ziel der Lehrveranstaltung hinausgeht", erzählt David Brunnthaler. "Wir haben uns dann in unserer Freizeit darum gekümmert, Genehmigungen eingeholt und die Telefonzelle betreut. Die Idee hat sich sozusagen verselbständigt." Das Projekt wird inzwischen von der Telekom Austria, von ZARA und einigen Privatsponsoren unterstützt und ist somit weder von der Uni Linz abhängig, noch von der Ars Electronica, im Rahmen derer es präsentiert wurde.

Nicht nur negative Beispiele

"Bei der Auswahl des Materials war es für uns ein Anliegen, nicht nur Beispiele von rassistischen Übergriffen aufzunehmen, sondern auch Geschichten von Zivilcourage und Toleranz zu präsentieren", erklärt Brunnthaler. "Das Material wird uns jedenfalls nicht ausgehen", fügt er ein wenig bedauernd hinzu.

Wichtig war es für die drei Studierenden, ihr Projekt möglichst unaufdringlich anzulegen: Nur wer neugierig genug ist, hebt den Hörer ab, und auch dann besteht die Möglichkeit, jederzeit wieder aufzulegen. Im Zeitraum zwischen Ende August und Mitte Oktober haben insgesamt zweitausend Personen abgehoben, davon haben sich 230 die Geschichte bis Ende angehört.

Telefonhörer zerstört

Trotz der durchwegs positiven Reaktionen bleibt dennoch ein kleiner Wermutstropfen: Am 14. Oktober wurde der Telefonhörer von Unbekannten zerstört. "Die Telekom Austria hat sich auf meine Anfrage hin sofort bereit erklärt, den Telefonhörer ersetzen zu lassen", berichtet Brunnthaler. Der Betrieb konnte sogleich wiederaufgenommen werden.