Tim Suter

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Noch brüten ORF-Juristen über dem ersten Antrag an die neue Medienbehörde. Der neue Infokanal steht vor der Prüfung seines Mehrwerts für das Publikum und der Marktauswirkungen.

Tim Suter, früher BBC-Journalist, dann Mitglied der britischen Medienbehörde Ofcom und heute Berater, hat dafür einen Tipp: "Machen Sie es nicht zu kompliziert", sagt er im STANDARD-Interview (siehe unten). In Großbritannien dauerten Verfahren schon ein Jahr: "Das ist in der schnelllebigen Medienwelt sehr, sehr lange." Die Wiener Behörde hat sechs Monate dafür.

Suter eröffnet Freitag eine zweitätige Konferenz des Instituts für Journalismus und Medienmanagement an der Fachhochschule Wien über Public Value und Qualitätsjournalismus.

Gegen Politeinfluss auf Gebührenfunk empfiehlt Suter transparente Besetzungen, vor allem Selbstbewusstsein und Ethos der Macher - und keinen direkten Zugriff auf die Finanzierung.

Mittwoch erfuhr die BBC, dass die Regierung ihre 400 Millionen Euro jährlich für das BBC World Service streicht. Das Geld muss die Londoner Anstalt mit Einsparungen hereinbekommen. Und die Regierung bestätigte eine "Vereinbarung" mit der BBC, dass die Gebühren in den nächsten sechs Jahren nicht erhöht würden. Dafür bezahlt sie weiter für gebührenbefreite Senioren.

Österreichs Regierung räumte dem ORF gerade über vier Jahre 30 bis 50 Millionen Euro extra für Gebührenbefreiungen ein. 

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STANDARD: Klären wir doch erst einmal: Was ist eigentlich Public Value?

Suter: Public Value ist der Nutzen eines neuen Dienstes, eines neuen Angebots für Konsumenten, für Bürger. Man kann ihn auf viele Arten definieren. Neue Möglichkeiten, die der Nutzer für sein Geld bekommt. Aber auch gesellschaftlicher und demokratischer Nutzen. Oder auch ein Nutzen für die Branche: der öffentlich-rechtliche erschließt mit seiner öffentlichen Finanzierung neue Segmente, die andere Unternehmen nutzen können. 

STANDARD: Die österreichische Diskussion kreist eher um die Frage: Was dürfen öffentlich-rechtliche Medien und was soll privaten Medien vorbehalten sein. 

Suter: Dem Public Value müssen Sie im Test auch die Auswirkung des Angebots auf den übrigen Markt und seine Entwicklung gegenüberstellen und abwägen. 

STANDARD: Gebühren gibt es, nicht zuletzt nach den Vorgaben der EU, nur für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Österreich hat diesen Auftrag für den ORF schon sehr breit definiert. Aber die BBC übertrifft ihn noch mit der Leitlinie: "bilden, unterhalten, informieren".

Suter: Natürlich gibt es auch bei der BBC noch eine Reihe von konkreteren Aufträgen, von Journalismus höchster Qualität bis zur Unterscheidbarkeit des Programms. Aber ich wünsche jedem viel Glück bei einer besseren, wirklich präzisen Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

STANDARD: Die BBC musste schon einige neue Services Public Value Tests unterziehen - und nicht alle wurden auch genehmigt.

Suter: Fast alle haben ihn geschafft, aber mit zusätzlichen Einschränkungen, Bedingungen oder Vorgaben. Abgelehnt wurde ein neuer regionaler Informationsdienst. 

STANDARD: Konkurrenz für Regionalzeitungen und ihre Onlinedienste?

Suter: Die Ablehnung wurde begründet mit zuwenig Nutzen für die beabsichtigte Zielgruppe. Und der Dienst hätte erhebliche Auswirkungen auf die kommerziellen Medien gehabt. 

STANDARD: Der ORF und die neue Medienbehörde beginnen in diesen Tagen den ersten Public Value Test über einen neuen Info- und Kulturkanal? Haben Sie Ratschläge für Österreich aufgrund der britischen Erfahrungen?

Suter: Ja, vor allem: Machen Sie es nicht zu kompliziert. Bei der BBC kann das Verfahren auch gut und gerne ein Jahr dauern. In einer schnelllebigen Medienwelt kann das ein sehr, sehr lange Zeitraum sein. Und ein zweiter Rat: Achten Sie besonders gut darauf, ob es um Inhalte oder Vertriebswege oder beides geht, und überlegen sie sich klare Regelungen.

STANDARD: Ist das eine Empfehlung, sich auf Inhalte zu konzentrieren?

Suter: Nicht zwingend. Denken Sie an den iPlayer, die Online-Abrufplattform der BBC. Das sind keine neuen Inhalte, aber es wurde als neues Service eingestuft, das einen Public Value Test brauchte - und übrigens bestanden hat. Ich empfehle nur, über diese Frage Inhalt und/oder Vertriebsweg gut nachzudenken. In der Zukunft könnte es schwer werden, diese Unterscheidung zu treffen.

STANDARD: Öffentlich-rechtlichen Rundfunk begleitet stets die Frage nach politischem Einfluss auf ihn. Mit dem Regierungswechsel ist die Frage in Großbritannien wieder hoch aktuell.

Suter: Ganz offensichtlich gibt es da Spannungen. Wie es immer ein Spannungsfeld zwischen Regierungen, ihren Sprechern und Journalisten gibt. So ist das Leben. Es gab immer Punkte in der Berichterstattung der BBC, die entweder der aktuellen Regierung oder früheren missfielen. Manche davon haben die BBC in fundamentale Krisen gestürzt. Denken Sie an Berichte über den Irakkrieg und Rolle Regierung Blair. Der Chairman und der Generaldirektor verließen damals die BBC. Aber in dem Moment haben Regierung und BBC innegehalten - und bewusst mit der Einführung des BBC Trust als Aufsichtsgremium der BBC mehr Unabhängigkeit eingeräumt, um solche Krisen künftig zu verhindern. Die BBC wurde danach nicht stärker unter Regierungskuratel gestellt. 

STANDARD: Mit Nominierungsrechten von Ministern in den Trust.

Suter: Das ist unvermeidlich: Hier geht es um öffentliches Geld und um eine öffentliche Aufgabe. Entscheidend ist, transparente Verfahren einzurichten, die quasi freihändige Besetzungen verhindern.

STANDARD: In Österreich tauschen neue Regierungen meist rasch die Aufsichtsräte des ORF aus.

Suter: Der Chairman des BBC Trust hat vor kurzem seinen Rückzug bekanntgeben. Er wurde nicht abgesetzt von der neuen Regierung. Aber man konnte sich schon ausrechnen, dass er mit der neuen Regierung nicht ganz so gut auskommen würde und diese Regierung einen eigenen Chairman wollte. Das bedeutet jetzt nicht direkten Regierungseinfluss auf die Linie des Trusts. Aber sie will mitreden, wer großen öffentlichen Organisationen vorsteht.

STANDARD: Ihr Rat, um politischen Einfluss zu beschränken?

Suter: Die Finanzierung darf nicht direktem und unmittelbarem Einfluss von Regierungen unterliegen. Und: Auch wenn Minister Mitglieder des Aufsichtsgremiums nominieren, muss dieser Prozess transparent und öffentlich begründet ablaufen. Und es braucht klare, transparente Regeln über die Unabhängigkeit des Gremiums gegenüber der Regierung. Und alle diese drei formalen Punkte funktioneren nicht ohne einen vierten, nicht formalisierbaren: Ethos. Ethos im Verhalten als unabhängige Organisation. In der BBC, würde ich sagen, ist dieses Ethos sehr stark. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 21.10.2010)