Die Erfahrung der Trance wurde zuletzt ein wenig entweiht. Die DJ-Kultur vereinnahmte das französische Wort und anglisierte es zu "Träns". "Träns-DJs" sind so ziemlich die größten Blender in einem an solchen nicht armen Fach. Verdrogte Schnarchsäcke, die ödes Blubbern, Pumpen und blutloses Ambient als Soundbrei anrichten und dazu Wichtigkeit und Bedeutung halluzinieren. Muss mal jemand sagen.
Unter Schnarchsackverdacht stehen Les Hommes Sauvages nicht. Die Berliner mit frankophiler Breitseite veröffentlichen gerade "Vive La Trance" und deuten den Begriff des entrückten Schlummers als Daseinszustand um, der aus persönlichen Vorlieben seine Lebenswelt montiert. Les Hommes Sauvages sind im Wesentlichen Viola Limpet und Kristof Hahn. Limpet lebt vor, dass auch Frau ein wilder Hund sein kann. Wobei das Wilde bei Les Hommes Sauvages einem Stildiktat unterliegt, das feines Tuch ebenso einfordert wie eine gewisse Nonchalance beim Überbringen des angerichteten Rock 'n' Roll Noir. Für Hahn sind Les Hommes Sauvages die Balance zu einer anderen Verpflichtung. Er tourt gerade mit den wiedervereinten Swans durch die Welt. Während er bei der wegbereitenden Noise-Band aus New York an der Seite von Michael Gira den Berserker gibt, frönt er mit LHS vergleichsweise Schöngeistigem. Dass dabei auch Schattseitiges zutage tritt - soll sein.
Auf "Vive La Trance", dem ersten LHS-Album, das keinen Film von Jacques Tati als Titel führt, eröffnet die Band mit einem schattigen Manifest. Gottseidank nicht in England ist eine Coverversion von Fehlfarben. Mit grimmigen Gitarren und verwegenen Orgelschüben wird ein ramponiertes Individuum beschrieben. Limpets Gesang wirkt hier wie eine Off-Stimme, die eher nüchtern observiert, als den im Lied vorgezeichneten Weg nach unten mitzugehen. Neben Eigenkompositionen verortet sich die Band mit weiteren Coverversionen. John Cales "Dying On The Vine" steht neben dem gebeserlten Astronomy von "Thin White Rope". Dieses sucht bei einer Lee-Hazlewood-Komposition Halt, für die Bela B. sein Ärzte-Dasein unterbricht. Hazlewood dockt wiederum beim ruppigen "Me & My Gun" der Eintagsfliege July 14th an, am Ende steht das wunderbare "Halbe Nacht".
Les Hommes Sauvages konnte man schon öfter live erleben - etwa im Vorprogramm von Nick Cave And The Bad Seeds, deren früherer Drummer Thomas Wydler als Geistesverwandter und Freund bei LHS trommelt. Die mitunter cineastische Atmosphäre mancher Les-Hommes-Stücke führte zuletzt dazu, dass die Band den Soundtrack zu "Mein Halbes Leben" von Marko Doringer bestritt - am 29. Oktober auf Arte zu sehen.
Auch vor der eigenen Vergangenheit wird auf "Vive La Tranc"e ein Diener gemacht. Hahn betrieb Anfang der 1990er mit dem heuer verstorbenen Alex Chilton für die Dauer eines Albums ("Shocked And Amazed") die Band Koolkings. Von diesem Meisterwerk, das die Welt leider nicht als solches erkannte, spielen LHS eine Version von "Sad And Lonesome". Einer jener ewigen Songs, die entstehen, wenn Männer in ihr Bier weinen, nachdem die Versuchung wieder einmal größer als die uns bescheiden zur Verfügung gestellte Vernunft war. Nicht noch einmal versäumen! (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2010)