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Bauten wie Koralmtunnel oder Wiener Hauptbahnhof sind nie billiger als prognostiziert.

Foto:APA/Neubauer

Letzte Hoffnung Einspruch lautet die Devise. Um das Streitobjekt Koralmtunnel auf Schiene zu halten, soll der Staat nicht nur Bau- und Zinskosten tragen, sondern den ÖBB auch den unrentablen Tunnelbetrieb alimentieren.

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Wien - Wiewohl nur Rand- und Pausenthema, beschäftigte die Minister in Loipersdorf auch das Reizthema Koralmtunnel. Denn beim Loch zwischen Graz und Klagenfurt ist die Tür zum Fluchtweg nur mehr einen winzigen Spalt offen. Erhebt gegen die Vergabe (mutmaßlich an Strabag) bis Dienstagmitternacht keiner der Bewerber für das Hauptbaulos "Kat2" Einspruch, ist der mittlerweile auf mindestens sechs Milliarden Euro taxierte (inklusive Finanzierungskosten gut zehn Milliarden Euro) Ausbau der Koralmbahn unaufhaltsam auf Schiene.

Also muss Geld her für die laut Berechnungen von ÖBB und TU Wien gleichermaßen defizitäre wie verkehrswirtschaftlich fragwürdige Investition. Denn die aktuell mit knapp 14 Milliarden Euro Schulden beladene ÖBB, die das Kat2-Baulos am 12. Oktober überraschend vergeben hat (obwohl am 8. Oktober noch höchst ungewiss war, ob es wegen des Sparbudgets überhaupt zur Vergabe kommen würde), kann nicht einmal die Zinsen für den Bahnausbau stemmen. Von den Kapitalkosten ganz zu schweigen. Selbst die vor drei Jahren kreierte Formel, die ÖBB nimmt über Ausgabe von Anleihen Milliarden auf und der Staat schießt 70 Prozent der Annuitäten (Kapitalrückzahlungen und Zinsen) in Form progressiv steigender Zuschüsse aus dem Budget zu, funktioniert nicht mehr. Die Einnahmen lassen keine weitere Verschuldung in Eigenverantwortung mehr zu.

Nun, da der von Verkehrsministerin Doris Bures ventilierte Verschub des Koralmbahnausbaus um ein paar Jahre nach hinten von der Regierungsspitze nicht goutiert wurde, ist die Causa Chefsache. Um nicht für 1,2 Milliarden Euro an "stranded investments" rund um die Koralm (mit)verantwortlich zu sein, muss Kanzler Werner Faymann das jährlich sieben Milliarden Euro schwere Alimentierungssystem ÖBB noch weiter ausweiten.

Heißt konkret: Der ÖBB sollen neben Bau- und Finanzierungskosten künftig sogar die Betriebskosten des unrentablen "schwarz-blauen Gedächtnisstollens" (© Wifo-Chef Karl Aiginger) zugeschossen werden, skizzieren mit der Materie vertraute Personen in hohen Ministeriumskreisen die Pläne der roten Regierungshälfte.

Zurückgewiesen

Dass der Bundeskanzler auf Bures' Tunnel-Verschub-Fahrpläne in höchstem Maße emotional reagiert und diese höchstpersönlich "abgedreht" haben soll, wie im Verkehrsministerium hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, weisen Sprecher des Kanzlers und der Ministerin gleichermaßen brüsk zurück. Am Ballhausplatz betont man, dass der Kanzler prinzipiell keine Tobsuchtsanfälle habe und man zweitens gar keine andere Wahl habe, als das Baulos zu vergeben, weil das Vergabegesetz einzuhalten sei. Nach der Klausur werde der Budgetspielraum für die Bahn groß genug sein, heißt es. Was nicht gesagt wird: Hätte Bures den Bau gestoppt, wäre der ÖBB der Geldhahn ganz zugedreht worden.

Im Verkehrsministerium heißt es, der ÖBB-Rahmenplan sei noch in Verhandlung, die Prioritätenreihung nicht abgeschlossen. Mit der Vergabe des Koralmtunnel-Bauloses habe das aber nichts zu tun. Nachsatz: Eine Verschiebung der Kat2-Vergabe sei zuletzt gar kein Thema mehr gewesen, denn sie sei bereits vor Monaten ad acta gelegt worden. Daher stehe die kurzfristig von Ende auf 12. Oktober vorverlegte Kat2-Vergabe in keinerlei Zusammenhang mit der Budgeterstellung.

Klar ist: Mit den von Verkehrs- und Finanzministerium kalkulierten 343 Mio. Euro Baukosten- und Finanzierungszuschuss wird die ÖBB 2011 nicht auskommen, geschweige denn mit den - je nach Quellenangabe - 476 oder 620 Millionen Euro, die für 2013 im Haushaltsplan eingestellt wurden. Schon gar nicht mit einer Milliarde 2018. Es wird eine höhere Summe sein müssen, verlautet von Bahn-Eigentümervertretern. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.10.2010)