Langer Weg in die Neue Welt: Im Western "Meek's Cutoff" verlegt Kelly Reichardt ihren Blick auf Alltagsbeobachtungen.

Foto: Viennale

Eine Siedler-Karawane kommt vom Weg ab - und tradierte Denkmuster geraten in Bewegung.

Es ist ein dürres, unwirtliches Land, durch das sich die Karawane aus drei Planwagen im Schneckentempo bewegt. Die drei Familien, die Tetherows (Michelle Williams und Will Patton), die Gatelys (Paul Dano und Zoe Kazan) und die Whites (Shirley Henderon und Neal Huff), sind Siedler, die im Jahre 1845, angeführt vom großmauligen Stephen Meek (Bruce Greenwood), einer neuen Heimat entgegenfahren. Als "Meek's Cutoff" beginnt, sind die Pioniere schon länger unterwegs - müde, ausgezehrt und zermürbt von den vielen Hindernissen, zu welchen schon eine simple Flussüberquerung gehört.

Waren bereits "River of Grass" oder zuletzt "Wendy and Lucy" auf das Prinzip der Bewegung ausgerichtet sowie darauf, wie diese ins Stocken gerät, so geht die US-Filmemacherin Kelly Reichardt in ihrem neuen Film nun einen Schritt zurück (und zugleich zwei weiter nach vorne): Denn in ihrem ersten "period piece", einem minimalistischen Western, gerät die amerikanische Idee des Fortschritts sozusagen bereits in den Kinderschuhen in die Krise. Die Karawane kommt vom richtigen Weg ab, verirrt sich im Niemandsland. Gerüchte sind im Umlauf - zunächst flüstert man sie sich nur nächtens zu -, dass dies mit Absicht geschehen sein könnte.

Reichardts Beschreibung einer sich zunehmend verschlimmernden Ausnahmesituation ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen geht es in "Meek's Cutoff" - noch vor jeder Gefahr von außen - um einen inneren Konflikt, der den Zusammenhalt der Truppe schwächt. Nicht jedoch die dramatische Eskalation steht im Zentrum, sondern die präzise Ausführung täglicher Anstrengungen, in denen die Arbeit der Frauen den bevorzugten Platz einnimmt. In langen Kleidern und mit ihren tief über die Stirn gezogenen Hüten trotzen sie tagsüber der Hitze und sind im Dämmerlicht die ersten, die vor den Zelten ein Lagerfeuer anfackeln.

So wie die Aufnahmen von Chris Blauvelt jeder Form von epischer Überhöhung entgegenarbeiten (der Film ist im 4:3-Format gedreht, also in Anti-Cinemascope!) und den Landschaften etwas Gegenständliches belassen, so meidet Reichardt auch insgesamt tradierte Mythologisierungen des Genres. Die Figur des Abenteurers Meek, in der von der Legende nur die Pose geblieben ist, gerät zunehmend ins Abseits, während ein Cayuse-Indianer zum neuen Lotsen der Truppe wird. Ob dieser "Wilde", der die Karawane beobachtet hat und hier das unbekannte Andere verkörpert, freilich die Rettung bedeutet, ist ungewiss - um dieses Vertrauen wird in "Meek's Cutoff" am härtesten gekämpft. (Dominik Kamalzadeh/ DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.10.2010)