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Einzelne Arten - wie hier von Samen - voneinander unterscheiden zu können, ist eine eigene Wissenschaft: Taxonomie nennt sich dieses Teilgebiet der Biologie.

Foto: Frans Lanting/Corbis

"Es gibt einen eklatanten Mangel an Fachleuten mit fundierter Artenkenntnis", sagt Günter Köck vom österreichischen Nationalkomitee für das Unesco-Programm "Man and the Biosphere" (Mab) an der Akademie der Wissenschaften. Das Mab-Komitee hat aus diesem Anlass die "Deklaration zur Förderung des Forschungsgebietes der Taxonomie in Österreich" veröffentlicht, die von 240 Wissenschaftern und Institutionen unterzeichnet wurde.

Der Inhalt: Es werden mehr finanzielle Mittel, Ausbildungsplätze und Berufschancen für junge Taxonomen gebraucht.

Die Taxonomie ist das Teilgebiet der Biologie, das sich mit der Charakterisierung, Benennung und Klassifizierung von Arten befasst. Seit sie im 18. Jahrhundert von Carl von Linné begründet wurde, tut sie das vor allem über äußerlich sichtbare Merkmale, aber auch über Lebensweise und Verhalten. Innerhalb einer systematischen Gruppe wie den Fliegen könne es viele Arten geben, deren Mitglieder einander sehr ähnlich sehen und entsprechend schwer auseinanderzuhalten sind.

DNA statt Lupe

Mit der Erfindung der Polymerase Chain Reaction- oder PCR-Technik vor 30 Jahren ließ sich die DNA verschiedener Arten vergleichen, und man musste sich nicht mehr nur auf Lupe und Mikroskop verlassen. Wie sich herausstellte, waren manche Arten, die einander sehr ähnlich sahen, in Wirklichkeit gar nicht so nah verwandt, wie bis dahin angenommen und umgekehrt.

"Da wurden überall die Stammbäume neu aufgerollt", erinnert sich Günter Köck. Damit fing man aber auch an, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Sowohl Geldmittel als auch Planstellen an Universitäten und Forschungseinrichtungen folgten dem neuen Trend: Weg von der peniblen Beschreibung und Beobachtung der Arten, hin zur Identifikation quasi auf Knopfdruck. "Alle frei werdenden Stellen, an denen früher Taxonomen gesessen sind, werden mit Molekularbiologen aufgefüllt", moniert Köck, "und die verstehen teilweise von der klassischen Taxonomie sehr wenig."

Eine Frage der Abgrenzung

Das ist ein Problem: Zum einen ist eine einwandfreie Artbestimmung Basis aller wissenschaftlichen Arbeiten, und die ist mit molekularbiologischen Methoden allein nicht gewährleistet: "Die genetischen Methoden machen genau so viele Fehler wie die klassische Taxonomie, nur in anderen Fällen", weiß Birgit Schlick-Steiner vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. In einer Meta-Studie haben sie und Kollegen alle derzeit gängigen Methoden zur Artabgrenzung verglichen und festgestellt: "Bei einzelner Anwendung liegt der durchschnittliche Fehler aller Methoden bei einem Drittel. Wenn man dagegen einen integrativen Ansatz mit verschiedenen Methoden verwendet, sinkt der Gesamtfehler auf etwa drei Prozent."

Hinzu kommt, dass es wichtig ist, Arten auch im Feld, sozusagen "mit freiem Auge", zu erkennen. Die wahren Problemgruppen sind dabei natürlich weniger so auffällige und relativ artenarme wie Vögel oder Säuger, sondern artenreiche und optisch oft wenig attraktive Zeitgenossen. "Es gibt z. B. in Österreich keinen Experten für Stechmücken, obwohl manche Arten Krankheiten übertragen und Malaria im Zuge der Klimaerwärmung auch bei uns möglich ist", sagt Helmut Sattmann vom Naturhistorischen Museum Wien.

Das Erlernen der jeweiligen Artmerkmale dauert Jahre - Hannes Paulus vom Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien zieht den Vergleich zu Sprachen: "Es gibt 7700 Käferarten allein in Österreich. Wenn man von einem aktiven Wortschatz von 1500 Vokabeln pro Sprache ausgeht, müssten Sie dafür drei bis vier Fremdsprachen können." Das ist mühsam und wird kaum honoriert: Taxonomische Arbeiten werden kaum zitiert und haben daher einen geringen Impakt-Faktor. Und der wirkt bei der Verteilung universitärer Gelder mit.

Neue Betätigungsfelder

Auch die eingeschränkten Berufsmöglichkeiten für Taxonomen führen dazu, dass es der Disziplin an Nachwuchs mangelt. Neben einigen Stellen an Museen und in Sammlungen kommen vor allem private Ökologie-Büros infrage, die etwa mit der Abwicklung der gesetzlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen betraut sind. "Die haben aber oft zu wenig Geld", meint Hannes Paulus. "Eigentlich müssten in allen Umweltschutzbüros und ähnlichen Einrichtungen ein paar Taxonomen sitzen, aber die stellen stattdessen Juristen."

Günter Köck ist überzeugt: Man müsste nur frei werdende Stellen an Universitäten und Forschungseinrichtungen wieder mit Taxonomen besetzen. Auch Stiftungsprofessuren durch Pharmafirmen könnte sich Köck vorstellen, denn diese haben ein wirtschaftliches Interesse an der Artenvielfalt: Sie hoffen auf neue Wirkstoffe aus erst zu entdeckenden Pflanzen- und Tierarten. Zu entdecken dürfte es noch genug geben: Von den geschätzten zehn Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sind erst 1,8 Millionen beschrieben. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)

--> Wissen: Jahr der Vielfalt

Jahr der Vielfalt

2010 wurde von der Uno zum "Internationalen Jahr der Biodiversität" erklärt, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die biologische Vielfalt zu lenken. Diese umfasst neben der Artenvielfalt auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt an Lebensräumen. Weltweit sind 21 Prozent der Säuger-, zwölf Prozent der Vogel-, 30 Prozent der Reptilien- und Amphibien- sowie 37 Prozent der Fischarten gefährdet, wobei die häufigste Ursache der Verlust von Lebensräumen ist. 190 Staaten plus die EU unterzeichneten 1992 die Biodiversitätskonvention, in der sie sich zur Erhaltung der biologischen Vielfalt bekannten. 2002 beschlossen die Unterzeichner mit dem "2010-Ziel" den Verlust der Biodiversität bis 2010 signifikant zu reduzieren, die EU nahm sich gar vor, ihn ganz zu stoppen. Erreicht wurde dieses Ziel nirgends, in manchen Gegenden konnte der Biodiversitätsverlust jedoch eingedämmt werden. (strn/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)