Margaret Thatcher krempelte mit 43 Prozent der Stimmen die englische Gesellschaft um: die Gewerkschaften zerschlagen; privatisiert, was nur zu privatisieren ging; Universitäten und die Kunst praktisch als Waisen ausgesetzt. Das war möglich, weil das englische Mehrheitswahlrecht dem Besitzer der relativen Mehrheit die Möglichkeit gibt, allein zu regieren.

In Österreich herrscht das Verhältniswahlrecht, man benötigt zum Regieren eine absolute Mehrheit (mehr als 50 Prozent) der Stimmen, aber Wolfgang Schüssel will das Land umkrempeln, als verfüge er persönlich über die absolute Mehrheit. Das Regieren wird ihm natürlich rein formal durch seinen Koalitionspartner FPÖ ermöglicht, aber der hat praktisch keinen Einfluss mehr. Die jetzige FPÖ übt zwar einen unguten Einfluss aus - etwa die Durchsetzung der Justiz und der Universitäten mit Deutschnationalen -, aber die Freiheitlichen sind zu keiner gestaltenden Politik im großen Stil mehr fähig.

Die macht schon Schüssel. Er versucht das Land umzudrehen, und zwar komplett - mit 42 Prozent. Schüssel hat längst den "österreichischen Weg" der Konsenspolitik verlassen. Gewiss, damit war zuletzt nicht mehr viel zu bewegen. Aber Schüssels Kurs wäre weniger bedenklich, wenn es nicht zwei große Schwachpunkte gäbe. Erstens personell: Der üble alte Parteienfilz wird in der Form aufgelöst, dass aus den entscheidenden Positionen die Roten hinausfliegen und durch (meist kompetente) Schwarze und (meist inkompetente) Blaue ersetzt werden.

Das Zweite ist Schüssels sachliche Reformpolitik. Er tut etwas, aber oft sehr problematisch. Und er tut keineswegs überall dort etwas, wo es notwendig wäre. Die Budgetsanierung wurde angepackt, kein Zweifel. Sie erfolgte aber fast ausschließlich über eine Rekordbelastung durch Steuern. Das Kernproblem des Budgets sind die Kosten des öffentlichen Dienstes und überhöhte Subventionen. An der Überbesetzung des öffentlichen Dienstes wurde nichts ernsthaft geändert. Sinnlose Subventionen wie zwei Milliarden Euro für die Wohnbauförderung wurden an die Landeshauptleute weitergereicht. Das Budget ist nicht saniert. Das Pensionsproblem wurde angepackt, kein Zweifel. Aber die jetzige Regelung dient großteils zur kurzfristigen Geldbeschaffung (für eine Steuersenkung knapp vor der Wahl) und ist immer noch ungerecht. Das wahre Kernproblem, die Harmonisierung der Systeme, ist offen.

Das Gesundheitssystem: auch hier wieder kurzfristige Geldbeschaffung (Selbstbehalt beim Arztbesuch), nachdem die Ambulanzgebühr an ihrer Unadministrierbarkeit gescheitert ist. Da die Ärzte sich weigern, den Selbstbehalt einzuheben, droht wieder ein Flop.

Gerechterweise muss man zugeben: Es besteht einfach die Notwendigkeit zu kurzfristiger Geldbeschaffung. Aber die Belastungen wären leichter zu ertragen, wenn a) längerfristige Strukturreformen sichtbar wären und b) die kurzfristigen Maßnahmen nicht so dilettantisch und ungerecht wären.

Schließlich die Privatisierung: Hier herrscht der Eindruck vor, dass nur rasch wegverkauft werden soll, damit KHG etwas in seinem Bewerbungsschreiben an einen neokonservativen Unternehmer anführen kann - ohne Rücksicht auf die wirtschaftsstrategische Situation. Und natürlich, weil "rote Bastionen", wie die Post geknackt werden sollen.

Hat Schüssel für all das ein Mandat? Oder überzieht er es bereits, wie Margaret Thatcher das ihre? Kann Schüssel mit 42 Prozent das ganze Land umdrehen? (DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2003)