Die Erfahrung von Wasser (als Prototyp aller Flüssigkeiten) hat weit reichenden Einfluss auf die Konstruktion von Modellen in den unterschiedlichsten Wissensbereichen, bis hin zum Prozess der Theoriebildung in den modernen Naturwissenschaften.

Im Allgemeinen ist dieser Prozess nicht ausschließlich durch analytische Vorgangsweisen zu charakterisieren. So spricht Paul Valéry etwa im Zusammenhang mit Leonardos Wasserstudien von "geistigen Bildvorstellungen", die zum virtuellen "Experimentieren" anregten. Für Albert Einstein waren es "mehr oder weniger klare Bilder", die im Denkmechanismus eine zentrale Rolle spielten, allerdings auch von einer "muskelartigen Natur" sein konnten und daher im Allgemeinen nichts mit dem visuellen Apparat zu tun haben müssen.

In diesem Sinne verdienen also "Vor-Bilder" im Theoriebildungsprozess der Physik besondere Aufmerksamkeit: Prototypen hermeneutischen "Vorverständnisses", die wirksam sind, bevor sie in explizite "Bilder" (inklusive mathematischer Modelle) von Naturprozessen umgesetzt, konkretisiert werden.

Tatsächlich bot sich das Verhalten von Wasser seit Anbeginn der philosophischen und wissenschaftlichen Naturforschung als "Vor-Bild" zur Illustration einer großen Anzahl von Naturphänomenen an. Wenn wir etwa heute vom "magnetischen Fluss" sprechen, so lässt sich diese Metapher bis zu Lukrez zurückverfolgen, der in De rerum natura vom "Fluss magnesischer Steine" spricht.

Die Analogien im Wellenverhalten von Wasser und Licht waren im Zeitalter der klassischen Physik besonders zahlreich (Huygens, Young, Fresnel, u.v.a.), und selbst Richard Feynman illustrierte in seinen berühmten Physikvorlesungen die Elektro- und Magnetostatik mit einer mathematisch äquivalenten "Hydrostatik".

Schließlich verglich Ernst Mach die Entwicklung von Frontwellen und Wirbelbildung in der Umgebung eines durch die Luft geschossenen Projektils mit dem Kielwasser eines Bootes. Letzteres wurde auch kürzlich wieder metaphorisch bemüht, um die Bewegungen einzelner Galaxien durch das intergalaktische Gas des Galaxienhaufens Abell 160 zu beschreiben.

Tatsächlich finden sich vergleichbare Phänomene der Hydrodynamik auf allen uns heute zugänglichen Längenskalen, wie etwa die Wirbelbildung in turbulenten Strömungen: Diese tritt nämlich sowohl in Tausende Lichtjahre durchmessenden "Jets" auf, die von Galaxienkernen emittiert werden, als auch in der Atmosphäre Jupiters (Skala von 1000 km) oder der Erde (100 km), im Labor (im Zentimeterbereich), oder gar im Quantenbereich (Stichwort: "supraleitende Quantenflüssigkeiten").

Generell kommt hier die Hydrodynamik mit zwei charakteristischen Merkmalen zum Tragen: Zum einen gelten auf allen Skalen die gleichen fundamentalen mathematischen Modelle (Differenzialgleichungen), zum anderen ist jede Ebene durch ihre jeweils typischen besonderen Merkmale (Materialität, Randbedingungen) charakterisiert.

Hinsichtlich der Vor-Bilder ist dabei von größter Relevanz, dass alle erwähnten Phänomene sozusagen durch ein und dieselbe "abstrakte Maschine" beschrieben werden können, zumindest in einem ersten Ansatz. Um sich den Phänomenen zu nähern, ist also mitunter ein gewisses Vertrauen notwendig - nicht unbedingt in den so genannten gesunden Menschenverstand (der üblicherweise nur im Umgang mit soliden, begrenzten Objekten "greift"), sondern in die begründbare Wirksamkeit von Vor-Bildern.

Auch das zählt wohl zu den Wundern der Natur: dass sich vergleichbare Phänomene, wie die hier diskutierten hydrodynamischen, auf praktisch allen Skalen wiederfinden. Die beiden Abbildungen illustrieren dabei dieses breite Spektrum sehr eindrücklich, bezieht sich doch die eine auf den Bereich der Quantentheorie (nach David Bohm und anderen), die andere aber auf einen beträchtlichen Ausschnitt des gesamten Universums.

Supercomputer-Simulationen von Robert Wyatt et al. weisen nach, wie das Phänomen der "Dekohärenz" in der Quantentheorie auf Basis hydrodynamischer Modellierung verstanden werden kann (siehe Grafik links unten). Dieses wird nämlich nicht (wie in populären Darstellungen oft behauptet) durch "den Beobachter" erzeugt, sondern durch den Einfluss der konkreten Beobachtungsapparatur: Im oberen Teil der Abbildung findet sich die Wahrscheinlichkeitsverteilung zweier "Bündel" von Flüssigkeitselementen, deren Zeitverlauf (jeweils von unten nach oben) im mittleren Teil des Bildes dargestellt wird; unten ein Querschnitt durch die gezeigte Verteilung mit Indikation der "Strömungsverhältnisse". Das linke Bild zeigt den Fall der "Interferenz" zwischen beiden Strömungsbereichen, das rechte jenen der "Dekohärenz", wo das Interferenzbild wegen der Kopplung an ein (nicht dargestelltes) "Wärmebad" der Umgebung, wie z.B. der Messapparatur, verschwindet. Die Supercomputer-Simulation der Materieverteilung im Universum nach Greg Bryan und Michael Norman hingegen zeigt Zonen niedriger und hoher Dichte in einem würfelförmigen Ausschnitt des Universums (Seitenlänge: 500 Millionen Lichtjahre; siehe Grafik links oben). Die Modellbildung erfolgt auf Basis eines hydrodynamischen Ansatzes unter Hinzufügung gravitativer Einflüsse. (Gerhard Grössing/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 5. 2003)