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Kleine Unpässlichkeiten, wie Kopfweh, Erkältungen oder Magen-Darmstörungen werden immer häufiger mit so genannten OTC (over the counter) -Präparaten in Eigenregie therapiert.

Foto: APA/Mark Lennihan

Kosten sparend oder gefährlich? Beim Thema Selbstmedikation sind in Österreich die Fronten verhärtet. Während der Präsident der österreichische Apothekerkammer Friedemann Bachleitner-Hofmann zuletzt für eine „kontrollierte" Selbstmedikation zu Gunsten der öffentlichen Krankenkassen plädierte, zweifelte der Salzkammer Ärztekammerpräsident Karl Forstner die fachliche Kompetenz der Apotheker für medizinische Beurteilungen an.

„Der paternalistische Ansatz, dass ausschließlich der Arzt dem Patienten sagt, was für ihn gut ist, ist überholt", betont Markus Müller, Vorstand der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien und die Ergebnisse aktueller Umfragen geben ihm recht. Eine von der IGEPHA (Interessensgemeinschaft österreichischer Heilmittelhersteller und Depositeure) in Auftrag gegebene Marktforschung, welche die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Aspekte der Selbstmedikation im österreichischen Gesundheitswesen untersuchte, offenbart, dass ein Großteil der Bevölkerung durchaus bereit ist Eigenverantwortung zu übernehmen. Selbstmedikation ist nicht zuletzt deshalb auch in Österreich nicht mehr weg zu denken. Kleine Unpässlichkeiten, wie Kopfweh, Erkältungen oder Magen-Darmstörungen werden immer häufiger mit so genannten OTC (over the counter) -Präparaten in Eigenregie therapiert, auf die Konsultation eines Arztes wird dabei verzichtet.

Ein Trend der parallel zum steigenden Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung läuft, in Österreich jedoch relativ schnell an seine Grenzen stößt. Die Vermarktung von OTC-Präparaten ist hierzulande nämlich streng reguliert und der Marktanteil von 7,5% am gesamten Pharmamarkt im internationalen Vergleich äußerst niedrig. Seit Jahren diskutieren Standesvertretungen über das Kosten-Nutzen-Risiko der Selbstmedikation, eine Liberalisierung wurde von der Europäischen Kommission noch nicht in Angriff genommen.

Mit einem Rezept alleine ist es nicht getan

Vorweg: Die Selbstmedikation betrifft eigentlich nicht nur nicht-rezeptpflichtige Medikamente. Vielmehr handelt es sich dabei definitionsgemäß um Arzneimittelanwendungen, die nicht nur auf einem ärztlichen Rat sondern eben auf Eigeninitiative beruhen. „Mit einem Rezept alleine ist es nicht getan", weiß Müller und ergänzt, dass auch die strenge österreichische Rezeptpflicht nicht verhindern kann, dass Patienten an rezeptpflichtige Medikamente herankommen. Zum einen dürfen - was viele Konsumenten nicht wissen - Apotheker diese im Notfall auch aushändigen und zum anderen hat das Internet einen oft problematischen Zugang zu Arzneimitteln eröffnet. Dazu kommt, dass sich in vielen Haushalten umfangreiche Medikamentendepots finden, die auch rezeptpflichtige Arzneimittel vergangener Verschreibungen beinhalten und im Bedarfsfall auch mal ohne ärztliche Anweisungen wieder verwendet werden.

Generell ist es mit der Compliance vieler Menschen nicht allzu weit her. Konkret nehmen über 40% aller österreichischen Patienten von Ärzten verschriebene Medikamente nicht vorschriftsmäßig ein. In diesem Zusammenhang sei auch der Ausdruck Polypragmasie erwähnt. Er beschreibt die kombinierte unkoordinierte Einnahme vieler verschiedener Medikamente. Da häufig weder Ärzte noch Apotheker über alle Arzneimittel ihrer Patienten informiert sind, bergen Wechsel- und Nebenwirkungen hier ein beträchtliches gesundheitliches Risiko für die Betroffenen. Mit dem „Arzneimittelsicherheitsgurt" und der nachfolgenden E-Medikation ist man seit mehr als acht Jahren bemüht eine probate Lösung für dieses Problem zu finden. Auf Wunsch des Patienten werden dabei Auffälligkeiten hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen festgestellt - rezeptfreie Medikamente inklusive.

Mündige Konsumenten

In Hinblick darauf, was die unsachgemäße oder nicht erfolgende Einnahme rezeptpflichtiger Medikamenten für Gefahren mit sich bringt, verliert die Angst, die sich hinter der Selbstmedikation mit nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln verbirgt, etwas an Gewicht. Natürlich, auch hinter einer Unpässlichkeit kann sich einmal eine ernsthafte Erkrankung verbergen. „Es ist Praxisalltag, dass Ärzte Patienten auch ohne detaillierte Diagnostik rein symptomatisch, beispielsweise mit Schmerzmitteln behandeln", betrachtet Müller das Problem ganz nüchtern.

Dass sowohl Ärzte als auch Apotheker die Kompetenzen besitzen mit Medikamenten umzugehen steht dabei für ihn außer Frage. Fakt ist jedoch: Das Problem Medikation, wie Selbstmedikation bleibt so oder so letztendlich immer beim Patienten. Müller setzt großes Vertrauen in die Mündigkeit der Konsumenten und plädiert deshalb für einen liberaleren Umgang mit OTC-Arzneimitteln. (derStandard.at, 28.10.2010)