Für alle, die Robert Nissel nicht kennen: In der ATV-Dokusoap „Das Geschäft mit der Liebe" macht er sich immer wieder in den Osten Europas auf, um seine Frau fürs Leben zu finden.

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Porschefahrer Nissel fühlt sich natürlich auch in einem Rolls Royce pudelwohl, denn die Prestige-Karosse eignet sich als hervorragender Eisbrecher zur Damenwelt.

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Als wir ausgestiegen waren, begriff ich: Robert Nissels Konzept funktioniert. Und zwar ganz einfach: Ein oder zwei Statussymbole - und schon bist du dabei. Und irgendwann vergisst du die selbst. Ja, sogar den Rolls Royce.

Es war eine Pressreise. Zwischenstation in Bratislava: Kempinski. Fünf Sterne. Luxus mit Donaublick - und das zu Preisen, die doch unter denen gleichwertiger Wiener Häuser ohne Flusspanorama liegen. Und vom Flughafen Schwechat fährt man hierher fast genauso lang ... aber das gehört nicht hierher.

Faszinierend an Bratislava ist aber nicht bloß, wie leichtfüßig die Slowaken schaffen, woran Wien grandios scheitert - die Stadt mit Flair an die Donau zu bringen nämlich. Spannend ist auch, dass aus Wien vor allem Sonntags-Shopper kommen. Und Robert Nissel. Während der Rest der Welt längst eine Stadt erlebt, in der nicht Jeannine Schiller sondern Tatjana Patitz zu Charity-Events bittet.

Gratis-Shuttle

Vermutlich fuhren wir - Frau Patitz und ich - sogar im gleichen Rolls Royce. Wenn auch nicht gleichzeitig: Der Rolls, den das Kempinski seinen Gästen als Gratis-City-Shuttle anbietet (wie die das logistisch hinkriegen? Keine Ahnung), wird wohl auch Supermodels fahren. Auch wenn die wohl nicht ins nächste Shoppingcenter wollen. Wir wollten. Der Fahrer fragte zweimal, ob das unser Ernst sei.

Was wir beim Einsteigen nicht bedacht hatten: Wer vor dem Hotel zu Emily steigt, wird nicht weiter beachtet. Wer anderswo aussteigt, schon. Erst recht vor einer Mall. Zwei mittelalte Herren, die in Bratislava vor einem Shoppingcenter aus einem nicht billigen Auto steigen, sich suchend umsehen und sich ins erstbeste Café setzen? Solche Männer sind Nissel-Do-Alikes. Ziemlich sicher.

Doch wir warteten lediglich. Auf shoppende Kolleginnen. Aber die Aura, die uns umstrahlte, war eindeutig die des Robert Nissel. Zumindest für das Publikum: Die herumflanierenden Horden aufgebrezelter Mädchen und junger Frauen zu übersehen, war unmöglich. Doch wir waren cool: Dass einige dieser Damen im Minutentakt immer wieder vorbei staksten, ignorierten wir. So wie die plötzlich vollen Tische rund um uns. Trotzdem: Plötzlich Robert Nissel zu sein, ist ein seltsames Gefühl

Ein Mann wie Matula

Sie wissen nicht, wer oder was Robert Nissel ist? Robert Nissel ist einsam. Er sucht das Glück. Das große. Doch im Gegensatz zu Herrn Rossi sucht er nicht dezent und still, sondern in Begleitung eines Kamerateams. Nissels Glück hat die Form schlanker, vollbusiger junger Frauen - und lebt im Osten. „Das Geschäft mit der Liebe" nennt sich die Dokusoap, in der auf ATV „Singles auf der Suche nach dem Partner fürs Leben" (Senderhomepage) begleitet werden. Die „Partner" sind Partnerinnen - und dass sie meist weder deutsch noch englisch (das aber besser als die begleiteten Sucher) sprechen, spielt keine Rolle. Sie haben andere - äh - Qualitäten.

Robert Nissel ist der Richard Lugner des Bratens. Mittlerweile berät er sogar. Männer wie Frauen. Er bezeichnet sich als „Energetiker", der außer „Offenheit" und „Herzlichkeit" rein gar nichts braucht, um von jenen umschwärmt und umworben zu werden, von denen just jene Männer träumen, die lautesten behaupten, nicht zu sehen woran ihre Augen kleben: Chirurgisch gepimpte Großraumdisco-Riesendekolletees. Hochbehackte Beine aus Hotpants- oder Schuluniformminiröcken. Pöpsche von Solarium-und-Permanentmakeup-Mädchen in Schuhen, die einzig für die Rückenlage entworfen worden sind.

Robert Nissel ist Lachnummer - und Ikone: Er ist klein. Er ist blad. Er fährt Porsche. Er sieht aus, als verließe er das Haus nie ohne Herrenhandtasche, Goldketterl und seine rote Kunstlederjacke, deren Ärmel er gern auch mal aufstreckt. Er ist Matula. Sein Haar wirkt gefärbt und ist schütter - und sieht aus, als wolle er das kaschieren. Er klingt wie ein Missionar, der sich selbst nicht glaubt. Ein Frauenflüsterer, der Charme durch Selbstbewusstsein ersetzt.

Anspruch und Sebstbild

Das faszinierende an Robert Nissel (und seinen Kollegen) ist nicht nur, dass sie Liebe suchen, aber nur Sex finden - und sie das keine Sekunde lang irritiert: Leichtfüßig überspringen sie die Kluft zwischen ihren optisch-ästhetischen Ansprüchen und dem eigenem Erscheinungsbild. Aber: Sie haben Erfolg. Nach eigenem Bekunden sogar dann, wenn die Damen nicht von Agenturen gestellt werden oder sie mit Geld winken. Aber was treibt nicht gebuchte Frauen in die Arme und Hotelzimmer von Robert Nissel? Was veranlasst sie, sich betatschen, rezensieren und vorzeigen zu lassen? Glauben sie gar, was Nissel und Sendungskonzept behaupten - also das Gesülze von Gefühlen und Liebe? Bin wirklich nur ich so borniert, die hier unter anderem offenkundigen Alters-, Sprach- und Ästhetikgrenzen für unüberwindlich zu halten?

Aber in Bratislava war ich plötzlich Robert Nissel: Ich hatte nichts - außer dem Schein. Der Rolls genügte: Wir hätten aus dem Vollen schöpfen können. Ohne Kamera. Wir waren das Winkewinke aus Traumland. Die Teletubbies der Luxuswelt. Auch wenn wohl keines der Mädchen ringsum ernsthaft glaubte, dass wir waren, was wir (unbewusst) vorgetäuscht hatten.

Wir saßen und glotzen - und wurden beglotzt. Nach zehn Minuten war es nicht mal mehr peinlich. Es begann, Spaß zu machen. Klar war es kläglich. Ein grindiger Triumph. Ein Erfolg, der auf nichts aufbaute und zu nichts führte. Als der Hotel-Rolls wieder kam, stiegen wir erhobenen Hauptes ein. Fünfzig Augenpaare auf uns. Ich zwinkerte einem der Mädchen zum Abschied zu. Sie schenkte mir einen Augenaufschlag und winkte. Dass sie den Wagen und nicht mich meinte, hatte ich da bereits vergessen. Oder verdrängt: Ich war Robert Nissel.  (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 29. 10. 2010)