Die ungarische Staatsbahn MAV, sowie die damalige MAV Cargo, heutige ÖBB-Güterverkehrstochter Rail Cargo Hungario, sollen an der Enteignung und Deportation tausender ungarischer Juden ins Konzentrationslager Auschwitz beteiligt gewesen sein. 300 Nachfahren der damaligen Holocaust-Opfer haben nun eine Sammelklage in den USA gegen die beiden Unternehmen eingebracht, mehrere tausend Kläger könnten sich anschließen, wird US-Anwalt Chuck Fax von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

Laut Anklageschrift wird eine Entschädigungssumme des damaligen Werts in Höhe von 240 Millionen Dollar gefordert, was einem heutigen Wert von fast acht Milliarden Dollar entspricht. Hinzu kommen soll eine weitere Milliarde an Wiedergutmachung.

Der Anklagetext stützt sich in der Hauptsache auf den Vorwurf, die MAV habe "bewusst an der Deportation von 437.000 ungarischen Juden in Viehwaggons teilgenommen". Bei einem ähnlichen Fall vor vier Jahren gegen die französische Staatsbahn SNCF wurde diese von der angeordneten Entschädigungszahlung entbunden. Begründet wurde der Entscheid damals mit der Tatsache, dass die SNCF im von den Nazis besetzten Frankreich unter Zwang gehandelt habe. In Ungarn marschierten zwar im März 1944 deutsche Truppen ein, das Land war aber bereits davor ein Verbündeter Hitler-Deutschlands gewesen.

Ob die Gerichte die Anklage zulassen werden, ist noch offen.

Abwarten bei den ÖBB

Bei den ÖBB selbst wartet man unterdessen auf einen entsprechenden Bescheid. "Wir nehmen die Sache sehr, sehr ernst, haben aber bislang offiziell noch nichts von einer Klage aus den USA gehört", so Unternehmenssprecher Michael Wimmer auf derStandard.at-Anfrage. Schätzungen, wie hoch die Forderungen sein könnten, wie viel davon von den ÖBB zu berappen wären und ob sie der hoch defizitären Bahn "das Bein brechen könnten", verweist er ins Reich der Spekulationen. "Im Moment müssen wir abwarten." Dass die Klage ausgerechnet in den Vereinigten Staaten eingereicht wurde, könnte mit dem dortigen Restitutionsgesetz zusammenhängen, so der Jurist.

Anwalt Gregor Oliver Rathkolb schätzt die Chancen für eine erfolgreiche Klage gegen die ÖBB auf derStandard.at-Anfrage gleich Null ein: "Die Klage richtet sich gegen die ungarischen staatlichen Eisenbahnen, 1993 wurde die MAV AG gegründet, im Jahr 2007 die Holding, deren Tochter die MAV Cargo ist bzw. war. Meines Erachtens scheitert die Klage daran, dass es keine Verbindung, weder Unternehmensidentität noch kontinuierliche Verantwortung zwischen den ungarischen Bahnen von heute und denen während der Kriegsjahre gibt. Ungarn war von deutschen Truppen überschwemmt und die tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit der ungarischen Staatsbahnen wohl etwas eingeschränkt. Der Fall ist ähnlich zu sehen wie bei der SNCF."

Die Frage nach der Verjährung lässt sich laut dem Experten für Restitutionsrecht schwer beantworten. Grundsätzlich sei es zu hinterfragen, ob bei diesen Delikten überhaupt eine Verjährung zulässig sei und bei Bedarf für jedes einzelne Land individuell zu prüfen.

Die ÖBB sitzen derzeit auf einem Schuldenberg von zwölf Milliarden Euro, die Übernahme der MAV Cargo (Ende 2007) kostete 400 Millionen Euro. (Sigrid Schamall)