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Sarkozy und die Journalisten: seit langem ist das Verhältnis des Elysées zur Presse gespannt, seit Anfang des Jahres soll der französische Präsident auch aktiv gegen unliebsame Reporter vorgehen.

Foto: EPA/LUCAS DOLEGA

Nicolas Sarkozy steht mit den Pariser Journalisten seit langem auf Kriegsfuß. Jetzt sorgt die neuste Enthüllung des Satireblattes Canard Enchaîné für neue Aufregung: "Sobald ein Reporter eine für ihn oder die seinen unangenehme Recherche unternimmt, bittet Präsident Nicolas Sarkozy den Chef des Inlandsgeheimdienstes DCRI, Bernard Squarcini, sich um den Unverfrorenen zu kümmern", schrieb Chefredakteur Claude Angeli am Mittwoch.

Das laufe "mindestens seit Anfang des Jahres". Zuständig sei eine Gruppe ehemaliger Geheimdienstagenten: "Spezialisten in diskreten Nachforschungen". Einer dieser Ex-Agenten erklärte dem Canard, die Telefongesellschaften arbeiteten bereitwillig mit. Vor allem werden demnach Telefongespräche der betroffenen Journalisten überprüft.

Handeln "im Auftrag"

Welche Journalisten überwacht werden, gab das Enthüllungsblatt nicht an. Es verwies aber auf die Bettencourt-Affäre, in deren Verlauf der Inlandsgeheimdienst einen Informanten der Zeitung Le Monde im Justizministerium aufspürte. Dazu wurden die Telefonrechnungen einzelner Redakteure überprüft. Die Tageszeitung hat deshalb unlängst Klage gegen unbekannt eingereicht. Geheimdienstchef Squarcini - dem es laut Canard Enchaîné bei der Sache selbst nicht wohl ist und der sich lieber mit Terrorabwehr oder Industriespionage befassen würde - hatte zu diesem Fall erklärt, er handle "im Auftrag". Damit konnte nur das Präsidialamt oder das Justizministerium gemeint sein.

Der Bericht wurde am Mittwoch vom Élysée-Palast als "totale Spinnerei" bezeichnet. Medien meinen, die Enthüllung werde noch hohe Wellen schlagen. Dies vor allem nach einer Einbruchsserie in Pariser Redaktionen: Bei Le Monde, Le Point und dem Internetanbieter Mediapart hatten Unbekannte mehreren Journalisten, die mit der Bettencourt-Affäre betraut sind, vor wenigen Tagen die Computer gestohlen. Wer dahinter steckt, ist noch unklar.

Sarkozys Lauschangriff falle in eine Zeit der "Einschüchterung und Überwachung" kritischer Redaktionen, meinte der Canard Enchaîné. Der Staatschef suchte selbst, die Urheber von Privatgerüchten über seine Ehefrau Carla Bruni mit Geheimdiensthilfe ausfindig zu machen.

Sarkozy verfolgt die nationalen Medien seit seinem Amtsantritt aus nächster Nähe. In einem neuen Gesetz hat er dem Präsidenten die Befugnis übertragen, den Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens France Télévisions zu ernennen; von diesem Recht hat er bereits selbst Gebrauch gemacht. Immer wieder nimmt der Präsident Einfluss auf die Besetzung wichtiger Redaktionsposten - sogar der Nachrichtensprecherin auf dem größten Sender TF1. Der einflussreiche Élysée-Berater Henri Guaino erklärte im kleinen Kreis: "Die Journalisten, die betreuen wir."

Nach der französischen Datenschutzverordnung dürfen Behörden ohne Zustimmung des Betroffenen keine Einsicht in Telefonrechnungen nehmen. Es sei denn, es handle sich um eine Ermittlung gegen Terrorverdächtige oder andere Staatsfeinde. Sarkozy hat bisher nicht gesagt, welcher Kategorie er Journalisten zurechnet. (Stefan Brändle aus Paris, STANDARD, Printausgabe, 04.11.2010)