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Am 2. Mai 2011 trifft Österreich in der WM-Vorrunde in Kosšice aufeine völlig neu organisierte schwedische Nationalmannschaft

Foto: APA/AP/Schneider

Am Montag präsentierte der neue schwedische Nationaltrainer Pär Mårts den ersten Teamkader seiner Amtszeit. An personellen Überraschungen mangelte es dabei nicht, über diese spricht jedoch kaum jemand. Denn der 57-jährige hatte viel Revolutionäreres zu verkünden: Die Taktik und das Spielsystem der „Tre Kronor" werden sich nicht nur deutlich von der Vergangenheit abgrenzen, sie werden auch veröffentlicht. Gemeinsam mit den Trainerstäben aller Nachwuchsnationalteams hat das Team rund um Mårts Schwedens neue Hockeyphilosophie in Worte gegossen, das Resultat ist ein kleines Handbuch zu den spielerischen Grundlagen der neuen Ära. Die einberufenen Spieler haben es bereits zur Vorbereitung auf das erste Teamcamp in der zweiten Novemberwoche erhalten, in den kommendenTagen ergeht es an die regionalen Verbände und alle knapp 650 Klubs im Lande, auch Journalisten wird der Leitfaden zur Verfügung gestellt, sie sollen die neuen Botschaften in ganz Hockey-Schweden bekannt machen.

"Das Kommando übernehmen"

Der sehr progressiv arbeitende Verband strebt nach möglichst breiter Einbindung, wenn es um die Implementierung des neuen Konzepts geht. Auf ausdrücklichen Wunsch des Neo-Teamchefs. Dieser hat von seinem Vorgänger, dem in Österreich als Spieler und Trainer der VEU Feldkirch bekannten Bengt-Åke Gustafsson, eine Mannschaft übernommen, die es zwar bei sechs der letzten sieben WM- und Olympiaturniere ins Halbfinale geschafft hat, deren Spielstil aber selbst in Schweden als unspektakulär und unattraktiv angesehen wurde. Unter Gustafsson - und den meisten seiner Vorgänger - haben die „Tre Kronor" gespielt, um nicht zu verlieren, nicht um zu gewinnen. Eine Grundhaltung, mit der Pär Mårts brechen will. Das dokumentiert alleine schon die Überschrift seines Vorworts im neuen Leitfaden: „Das Kommando übernehmen".

Erfolgreicher U20-Coach

Die neue Offenheit des schwedischen Nationalteams liegt sehr stark in der Persönlichkeit des Teamchefs begründet: Viele Jahre war er mit der Ausbildung von Führungskräften in Schwedens größter Supermarktkette betraut, lange unterrichtete er auch als Lehrer am Eishockeygymnasium von Västerås (eines von deren 33 im Lande). Mårts möchte Menschen etwas beibringen, aktuell seine neue Philosophie für die „Tre Kronor" - und weil hinter einem Nationalteam eine ganze Nation steht, legt er die Streuung dieser Informationen auch sehr breit an.
Sein Weg ins Amt des Nationaltrainers war kein außergewöhnlicher: 2004 holte er mit HV71 die schwedische Meisterschaft, wurde Coach des Jahres. Anders als in Österreich ist in Schweden für einen Klubtrainer, der alles erreicht hat, der logische nächste Schritt auf der Karriereleiter der Wechsel in den Verband: 2007 wurde Mårts U20-Nationaltrainer und holte in drei Jahren ebenso viele WM-Medaillen, im letzten Jänner wurde er zum „Tre Kronor"-Trainer ab Sommer 2010 ernannt.

Anleihen aus Nordamerika

Das halbe Jahr der Vorbereitungszeit für seinen neuen Job hat der als Spieler mäßig erfolgreiche Mårts (sieben Erstligajahre) dazu genutzt, sein Manifest zu verfassen. Folgend diesem wird Schweden zukünftig offensiver und mit mehr Zug zum Tor agieren, die Zeiten, in denen gewonnene Duelle in den Ecken des Rinks als höchste Kunst angesehen wurden, scheinen vorbei. Das blau-gelbe Spiel wird mehr Reboundchancen suchen, in der Offensive wird einer der Verteidiger planmäßig eher tief stehen. Nach hinten gelten fortan sich über das ganze Spielfeld erstreckendes Backchecking und aggressives Forechecking zu den obersten Prämissen. Schwedens Spiel wird also deutlich nordamerikanischer geprägt sein als in der Vergangenheit, außerdem mahnt Mårts von seinen Cracks ein, mehr Schüsse zu nehmen.

Diese Grundausrichtung wird im neuen Handbuch des Verbandes am Beispiel vieler einzelner Spielsituationen grafisch dargestellt verdeutlicht, statt seinem Team auf der Taktikwand hinter der Bande zeichnet der Coach mögliche Szenarien und gewünschte Verhaltensmuster am Spielfeld für eine ganze Hockeynation aufs Papier.

Ein Team mit Selbstvertrauen

Bedenken, dass die Veröffentlichung der Taktik und des Spielsystems die Vorbereitung der Gegner auf Partien gegen Schweden erleichtert, hat Mårts nicht: „Sie sitzen ohnehin bei unseren Trainings und Spielen auf den Tribünen, filmen und analysieren uns." Dieses Selbstvertrauen steht auch im Zentrum des neuen Konzepts, das den Titel „Eine gewinnende Mannschaft" trägt. Gewonnen hat der neue Coach in den letzten Jahren mit dem U20-Team schon vieles - vor allem die Sympathien der eishockeyinteressierten Bevölkerung: So waren beispielsweise im recht bedeutungsschwachen Spiel gegen Österreich bei den World Juniors im letzten Dezember 560.000 Schwedinnen und Schweden live via TV und Livestream dabei (Vergleich: Das EBEL-Spitzenspiel am vergangenen Sonntag sahen im österreichischen Free-TV 29.000 Menschen).

Pär Mårts ist es zuzutrauen, den auf seiner Philosophie basierenden Erfolg und die Begeisterungsfähigkeit der U20 auch auf die neuen „Tre Kronor" zu übertragen. Trotz der wohl auch für die kommende WM zu erwartenden Absagen von 35-40 schwedischen NHL-Spielern. (Hannes Biedermann; derStandard.at; 3. November 2010)