Der Politologe Charles Hadley prophezeit im Interview mit Christoph Prantner nicht nur Präsident Barack Obama, sondern auch den Republikanern harte Zeiten. Sie müssten nun mit echten Extremisten in ihren Reihen Politik machen.

***

Standard: War das die erwartete Niederlage für die Demokraten oder mehr als das?

Hadley: Man muss immer die Proportionen sehen: Bei der letzten Präsidentschaftswahl gingen weit mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl, diesmal waren es etwas mehr als 30 Prozent. Insofern relativiert sich die Niederlage. In einem typischen Präsidentschaftswahljahr gewinnt die Präsidentenpartei Sitze dazu, bei den Midterms verliert sie. Die Zahl der verlorenen Mandate ist diesmal natürlich groß, aber die Demokraten haben immerhin den Senat gehalten. Aus dieser Perspektive ist es eine eher gemischte Bilanz.

Standard: Was sind die langfristigen Konsequenzen dieser Machtaufteilung im Kongress?

Hadley: Es wird eine schwierige Zeit für den Präsidenten werden. Diesmal wurden sehr mächtige Abgeordnete nicht mehr wiedergewählt, die Wählerschaft ist extrem enttäuscht. Die Ironie ist, dass auch Präsident Obama 2008 von den Enttäuschten in den Bush-Jahren gewählt wurde. Aber auch die Republikaner haben ihre Probleme: Wie Obama, der mit dem Spagat zwischen linken und moderaten Demokraten zu kämpfen hatte, haben die Republikaner nun die Tea-Party-Extremisten in ihren Reihen und müssen deren Positionen mit den Moderaten in Einklang bringen.

Standard: Gab es den vielbeschworenen Tea-Party-Effekt für die Republikaner?

Hadley: Dieser sogenannte Effekt hat viele Schlagzeilen und Medienaufmerksamkeit generiert, aber wenig gebracht. Die Tea Party hat zwei Senatssitze gewonnen und zwei, die sie unbedingt haben wollte, nicht erobern können. Wenn "normale" Republikaner dort angetreten wären, hätten sie in Nevada und Delaware wahrscheinlich gewonnen. Im Repräsentantenhaus kommen sie auf etwa 18 Sitze. Diese Erzkonservativen werden die republikanische Fraktion in den Wahnsinn treiben, wenn es darum geht, Kompromissformeln zu finden.

Standard: 2008 haben die unabhängigen Moderaten die Wahl entschieden, und diesmal?

Hadley: Ebenso. Die Menschen sind sehr frustriert. Sie leiden unter der schlechten Wirtschaftslage und der miserablen Stimmung im Land. Diese Enttäuschung haben sie an Obama ausgelassen. Er hat keinerlei Kredit dafür bekommen, dass er etwa einen Totalabsturz der Wirtschaft verhindert hat.

Standard: Nach dem Wahlergebnis und dem zu erwartenden Stillstand in Washington könnten diese Bürger in zwei Jahren noch enttäuschter sein, oder?

Hadley: Das ist richtig. Und genau das könnte ironischerweise zur Wiederwahl Barack Obamas führen. Auch im Kongress könnte das Pendel dann durchaus ins Gegenteil ausschlagen, die Tea Party könnte wieder weg sein.

Standard: Gibt es unter diesen Umständen überhaupt eine gemeinsame Basis für die Politik der kommenden Jahre?

Hadley: Der neue Speaker im Repräsentantenhaus, John Boehner, kann Kompromisse schließen. Die Frage ist, was die Tea Party will.

Standard: Für Obama ist der Tag nach der Wahl der erste Tag seiner Kampagne für 2012. Kann er die Stimmung umdrehen wie Bill Clinton 1994?

Hadley: Wenn sich die Wirtschaft erholt, und es wird wohl eine langsame Erholung sein, dann hat er in zwei Jahren gute Chancen auf eine Wiederwahl. Dafür kann er wahrscheinlich genauso wenig tun, wie er jetzt gegen diese Niederlage tun konnte. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Die liegt derzeit bei siebzehn Prozent, wenn auch die mit eingerechnet sind, die nicht mehr in den Statistiken aufscheinen. (Christoph Prantner, STANDARD, Printausgabe, 04.11.2010)