Wien - Ein offizieller Brief vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg an die Republik heizt die Diskussion um Dublin-II-Abschiebungen von Österreich nach Griechenland weiter an. Denn in dem Schreiben wird ein alle umfassender Abschiebestopp in das Land angeregt, dessen Asylsystem laut Experten völlig zusammengebrochen ist. Das Innenministerium hingegen gewährt nach einem Verfassungsgerichtshofspruch nur "schutzwürdigen Personen" wie alleinstehenden Müttern und Jugendlichen diesen Schutz.

"Zwischenzeitlich unterlassen"


"Ihre Regierung würde das Gericht unterstützen, indem sie Rückführungen von Asylwerbern nach Griechenland zwischenzeitlich unterlässt, wenn die Asylwerber vorbringen, dass die Rückführung sie in ihrem von der Konvention garantierten Menschenrecht verletzen würde", steht in dem Brief vom 27. Oktober 2010.

Im nächsten halben Jahr wird das Menschenrechtsgericht im Dublin-II-Präzedenzfall "M. S. S. gegen Belgien und Griechenland" eine Entscheidung treffen. Bis dahin bekommt jeder unter Griechenlandabschiebegefahr stehende Asylwerber vom EGMR im Schnellverfahren eine "vorläufige Maßnahme" dagegen gewährt. In Österreich geschah dies allein vergangene Woche in mehr als fünf Fällen.

Vorbilder in der EU

Gleichlautende Schreiben wie jenes an Österreich hatte der EGMR Ende September bereits an Großbritannien, Belgien, Finnland, Dänemark und die Niederlande gesandt. Von Finnland abgesehen, haben zwischenzeitlich alle diese Staaten Transfers nach Griechenland völlig gestoppt, Schweden folgte am Mittwoch. Im Innenministerium in Wien bestätigte Mittwochabend ein Sprecher den Erhalt des EGMR-Briefes. Wie man reagieren werde, stehe aber noch nicht fest. (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe, 4.11.2010)