Swans 2010: Michael Gira, Kristof Hahn, Thor Harris, Norman Westberg, Phil Puleo, Chris Pravdica.

Foto: Young God

Eine Würdigung von Karl Fluch.

Kunst, die nicht irritiert, ist nichts wert. Michael Gira hat mit der Band Swans sein Publikum nicht bloß irritiert, sondern nachhaltig verstört, es zur Saalflucht getrieben und ihm dabei zumindest noch einen Tinnitus mit auf den Weg zur Hölle gegeben. Zumindest früher.

In den 1980ern zählte Gira und die Swans zur Lärmavantgarde des Planeten. Während die Einstürzenden Neubauten in Berlin Betonwände aufbohrten und auf brennende Ölfässern schlugen, brüllte Gira zu so trägem wie unerbittlichem Galeerengetrommel Slogans über Gewalt und Verderben in die Welt. Swans-Stücke waren Amokläufe in Zeitlupe, begleitet von Gitarrenriffs – langsamen, brutalen, immergleichen Riffs. Ohrenbetäubend laut. Dazu kam Giras Psychopathenblick, sein nackter Oberkörper und die Bereitschaft, für den eigenen Wahnsinn jederzeit zu bluten. Buchstäblich.

Das ergab in Summe das Swans'sche Alleinstellungsmerkmal. Heute noch beeindruckende Arbeiten wie Filth, Cop, Greed oder Holy Money sind so entstanden. Soweit das Frühwerk dieser Berserker – nicht zu vergessen das Live-Dokument Public Castration Is A Good Idea, das mit seiner am Cover abgedruckten Aufforderung "Play At Maximum Volume" mit der Abrissbirne winkte.

Doch die physische Kraftanstrengung die jedes Swans-Stück bedeutete, schien selbst Gira irgendwann zu viel zu werden, und er wandte sich vom Lärm ab, hin zu einem dunkelschwarzen Folk, der zumindest am Beginn noch mit Lärmeskapaden kokettierte. Eine alte Liebe rostet nicht.

1997 legte er die Swans auf Eis um unter eigenem Namen und mit der Band The Angels of Light weiterzumachen. Er erfand sich damit quasi neu, blieb den Themen Tod, Unglück, Inzest und allem, was das Leben sonst noch schön macht, allerdings treu. Selbst formal bestand weiterhin eine Verwandtschaft zu den früher in die Welt geblasenen Eruptionen. Denn ein richtiger Songwriter sollte Gira nicht werden. Quälende, zäh mäandernde Brocken, das ist seine Welt – egal ob am Lagerfeuer oder in der Industrieruine. Und diese Brocken können mühsam sein, wie ein wenig überzeugender Solo-Auftritt Giras beim Wiener Songwriter-Festival Blue Bird vor zwei Jahren zeigte.

Nun hat Gira die Swans wiederbelebt und das Album My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky veröffentlicht. Mit alten Wegbereitern wie Norman Westberg, Phil Puleo oder dem Berliner Kristof Hahn. Gira verschränkt die frühen mit den späten Swans. Monomanische Riffs und perkussive Nötigung treffen auf die Schönheit der späten Swans. Transzendenz scheint die neue Kunst des alten Berserkers zu sein.

Die Eröffnungsnummer, das über neun Minuten dauernde No Words, erinnert an die besten Momente von Nick Cave and the Bad Seeds. Wie Cave hat auch Gira eine Vorliebe für eine biblisch anmutende Bildsprache, existenzielle Themen und dunkle Mythen, die er brutal seziert.

Giras Gesang klagt an, die repetitive Musik erinnert an in Käfigen gehaltene Tiere, die sich nicht mit den Gittern abfinden können und wie in Trance dagegen anlaufen, im Kreis wanken. Vor und zurück. Vor und zurück. Es gibt keinen Ausweg, nicht einmal die Gnade des Todes. Giras trockener Bariton schafft in diesen Situationen noch gerade genug Distanz, um nicht zu verzweifeln.

Ein Sonnenkind war der Mann nie. Nach einer schwierigen Kindheit mit einer alkoholkranken Mutter und einen bindungsunfähigen Vater kam er 1982 von Los Angeles über den Umweg eines israelischen Knasts – wegen Drogenhandels – nach New York, als Bands wie Sonic Youth musikalisches Neuland beackerten. Obwohl Gira heute keine Verwandtschaft mit Sonic Youth erkennen will, kann man am neuen Album die gemeinsame Vergangenheit herauslesen, als man sich einen Proberaum geteilt hat.

Giras frühe Arbeiten gelten heute zurecht als bahnbrechend. My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky kann und will das gar nicht leisten. Beeindruckend ist es allemal. (Karl Fluch, RONDO/DER STANDARD, Printausgabe, 5. November 2010)