Unbehandelt führen Klumpfüße zu einer schweren Behinderung.

Foto: Konstanze Meindl/www.meinblick.net

Bei der perkutanen Achillessehnen-Tenotomie (pAST) wird die Achillessehne durchtrennt und heilt postoperativ in einem angelegten Gips aus.

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In 90 Prozent der Fälle führt die Ponseti-Methode zum Erfolg.

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Bamako, Mali - Beginn der Regenzeit im Sommer 2010. Der Regenguss ist bald vorbei und ich mache mich auf den Weg. Nachdem der freundliche Concierge im Hotel Aquarius mir geholfen hat, meinen 40 kg schweren Koffer die Treppe hinunterzuwuchten, trete ich hinaus vor die Türe und arbeite mich langsam durch den Verkehr von Torokorobougou, einem Stadtteil von Bamako, zum Centre National d'Appareillage Orthopédique du Mali (CNAOM - Nationales Zentrum Malis für orthopädische Geräte)

Im Koffer sind Gips, Bandagen und orthopädische Kinderschuhe sowie andere grundlegende Bedarfsgüter für den Alltag eines Orthopädiezentrums. Dieses Zentrum ist das einzige im Westen Afrikas und die Patienten kommen nicht nur aus allen Landesteilen Malis angereist, sondern auch Tausende von Kilometern aus den Nachbarländern wie Mauretanien, Burkina Faso, Niger oder der Elfenbeinküste. Orthopädische Bedarfsgüter sind in Mali kaum zu bekommen, und wenn, dann oft in schlechter Qualität, sogar Gipsbandagen sind Mangelware.

Im CNAOM werden orthopädische Schuhe angefertigt und angepasst, sowie viele orthopädische Deformationen korrigiert, sofern dies ohne oder mit nur minimalen chirurgischen Eingriffen möglich ist. Ein Operationsgebäude ist aber fast fertig, ein Reha-Zentrum ist in Planung.

Nach einer Viertelstunde erreiche ich das CNAOM und Kiré empfängt mich. Er ist derzeit der einzige Arzt im Zentrum. Selten habe ich einen Menschen erlebt, der mit so viel Ruhe und Gleichmut seine vielfältigen Aufgaben erledigt. Er stellt mich der Leiterin vor, Madame Bocum, eine Frau mit beeindruckender Souveränität. Gemeinsam packen wir die Sachen aus, Spenden der österreichischen Firma Heindl. Kiré sagt, dass mit dem Gips aus dem Koffer drei Kinder mit Klumpfuß geheilt werden können.

Sechswöchige Behandlung

Madame Sidibé leitet die Unterabteilung „Cellule Pied-bot" (Klumpfuß) und gemeinsam mit Kiré erklärt sie mir, was ein Klumpfuß ist und wie am CNAOM nach der Ponseti-Methode behandelt wird: In Mali werden jedes Jahr circa 700 Kinder mit Füßen geboren, deren Sohlen fast rechtwinklig nach innen und nach oben gedreht sind. Mit dieser Deformation ist es unmöglich zu gehen. Im drittärmsten Land der Erde (laut Multidimensional Poverty Index) ist die Unfähigkeit zu gehen beinahe gleichbedeutend mit einer Unfähigkeit selbst für den Lebensunterhalt aufkommen zu können. 

Die Behandlung am CNAOM dauert sechs Wochen, führt in fast allen Fällen zu einer vollständigen Korrektur und funktioniert folgendermaßen: Die Füße des Kleinkinds werden um 20 Grad in Richtung Normalstellung gedreht und das Bein eingegipst. Nach einer Woche wird der Gips entfernt, der Fuß erneut um 20 Grad gedreht; nach einer weiteren Woche wiederholt sich die Prozedur, bis der Fuß richtig steht, aber gerade nach unten zeigt. Im Zuge einer Tenotomie wird nun die Achillessehne durchtrennt, sodass der Fuß im korrekten Winkel zum Bein steht. Nun wird das Bein wieder eingegipst und nach einer weiteren Woche ist die Behandlung abgeschlossen. Die Behandlung kann auch unterbrochen und später wieder fortgesetzt werden, funktioniert aber nur bei Kleinkindern.

Ich nicke so, als ob ich das alles verstanden hätte und folge Kiré in den Warteraum. Er stellt mir einige der Mütter mit ihren Kindern vor und demonstriert an den Füßen der circa ein bis zwei Jahre alten Kinder die Behandlungsstadien. Jetzt kann ich mir langsam vorstellen, wie das alles in der Praxis funktioniert. Schlagartig wird mir bewusst, wie unendlich leichter das Leben dieser Kinder nach der Behandlung sein wird und mir rinnt ein Schauer den Rücken hinab, wenn ich daran denke, wie viele Kinder nach wie vor unbehandelt bleiben müssen.

Unterkünfte fehlen

Madame Bocum, die Leiterin, ruft laut und überzeugend nach Kiré und wir eilen in ihr Büro. Sie hat mir inzwischen eine Bestätigung über den Erhalt des Gipses und der anderen Materialien geschrieben. Während sie mir das Kuvert mit der Bestätigung reicht, fragt sie mich, ob ich wüsste, was denn die größten Schwierigkeiten für das CNAOM seien. Ich antworte, dass ich davon ausgehe, dass der laufende Betrieb und die Fortbildungen bestimmt sehr schwierig zu finanzieren wären. Sie sagt: „Schon, schon, auch. Aber es ist die Armut der Menschen: Die Vor-und Nachuntersuchungen mit eingeschlossen müssen die Kinder etwa zehn Mal zum Zentrum gebracht werden. Die Behandlung ist zwar gratis, die Leute können sich bei einem Monatsgehalt von oftmals kaum 25 Euro aber den Bus nicht leisten."

Auf dem Gelände des CNAOM gibt es zwar einige einfache Unterkünfte für Patienten von weit her. Aber das ist nicht genug. Und so wird derzeit in der Erweiterungsphase daran gearbeitet, in allen sechs Stadtbezirken der Hauptstadt Malis, Bamako, Außenstellen zu errichten. Ebenso in anderen Städten wie Kati, Koulikoro und Sikasso. So können das Zentrum und somit die Hilfe näher an die Patienten rücken.

Ausbildung intensivieren

Die Klumpfußabteilung wurde von 2004 bis 2009 durch ein Team der „Austrian Doctors For the Disabled" gemeinsam mit den malischen Beteiligten aufgebaut. Ziel ist, das Projekt ganz in malische Hände zu legen. Zurzeit läuft die erste Erweiterungsphase: Damit soll einerseits erreicht werden, dass die Behandlung in den Außenstellen näher zu den Patienten gebracht wird, und andererseits dass die Aus- und Weiterbildung weiterer malischer Fachkräfte intensiviert wird. So sind sieben Personen bereits fertige orthopädische Fachkräfte und 16 Personen befinden sich derzeit in Ausbildung.

Kiré nimmt mich mit ins Gipszimmer. Gerade wird ein Gips mit einer Trennscheibe vom Bein eines vielleicht sechs Monate alten Babys geschnitten. Kiré betrachtet das kleine Füßchen und nickt zufrieden. Sogleich wird der Fuß weitergedreht und das Bein wieder eingegipst. Der nächste Patient ist schon beim letzten Behandlungsschritt angekommen, der Tenotomie. Erst muss der Gips weg, dann legt Kiré eine sterile Decke über den Gipstisch, zieht sich sterile Handschuhe über, nimmt ein Einwegskalpell und mit lokaler Betäubung durchtrennt er die Achillessehnen des Babys. Die Operationswunden werden verbunden, die Beine eingegipst und die letzte, einwöchige Etappe auf dem Weg zur Gesundheit des kleinen Menschen hat begonnen. (derStandard.at, 04.11.2010)