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"Das ist genau der miserable Stil, den die Menschen in Österreich schon so satt haben. Wenn man sowas sagt, wie diese 'Rülpser'-Antwort, darf man sich nicht wundern, wenn man dann Politikverdrossenheit erntet, wenn das Ansehen der Politiker noch schlechter wird."

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Burgstaller mit ihren acht Amtskollegen beim Treffen der Landeshauptleute im Mai in Klagenfurt.

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Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) ist der Meinung, die SPÖ soll Studiengebühren einführen und fordert im Gegenzug ein Umdenken der ÖVP in Sachen Gesamtschule. Warum sie den Machtstreit zwischen Bund und Ländern "oberflächlich" findet, weshalb die Lehrerkompetenz beim Bund liegen soll und warum sie 2004 eine Koalition mit den Grünen in Salzburg mit den Satz "Ich bin doch nicht verrückt" ablehnte, sagt sie im Interview mit derStandard.at

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derStandard.at: Die Regierung hat sich mit der Budgeterstellung bis nach der Wien-Wahl Zeit gelassen. Hat sich das Warten ausgezahlt?

Burgstaller: Ich habe es nicht für besonders klug gehalten, die Wahlen abzuwarten. Die Erwartungshaltung, dass der ganz, ganz große Wurf kommt, ist sehr groß geworden. Das ist nicht erfüllt worden. 

derStandard.at: Man kommt nach und nach drauf, dass Nachbesserungen nötig sind. Wie erklären Sie es sich, dass die Regierung - salopp formuliert - so dilettantisch vorgeht?

Burgstaller: Ich sage ganz ehrlich, das passiert überall. Mir ist es lieber, wenn es Nachbesserungen gibt, wenn man Kritik ernst nimmt, als es gäbe diese Nachbesserungen nicht. Insofern halte ich die jetzige Reaktion der Regierung für positiv. Besser wäre es natürlich oft, wenn man vorab schon die Adjustierungen vornimmt, die Gespräche führt. Die Realität in der Politik, in einer Koalition ist eine andere. 

derStandard.at: Sie haben kritisiert, dass es durch die Kürzung der Familienbeihilfe zu großen Einschnitten kommen wird. Warum wird auf die Studenten, auf die Familien, auf die Pflegebedürftigen so wenig Rücksicht genommen? 

Burgstaller: Das sind die ganz großen Ausgaben. Der Familienlastenausgleichsfonds ist schwerst überschuldet, im Pflegebereich herrscht eine unglaubliche Dynamik, genauso wie in der Gesundheit, überhaupt im ganzen Sozialbereich. Wenn es hier zu Veränderungen kommt, tut es immer weh, weil das diejenigen sind, die das Geld am meisten brauchen. Wenn budgetäre Änderungen erforderlich sind, dann müssen sie so erfolgen, dass sie nicht willkürlich erscheinen, dass sie auch einem Gerechtigkeitsmaßstab standhalten können. Daher ist es aus meiner Sicht der Grundsatz des Vertrauensschutzes entscheidend, der in Österreich so gerne bei Pensionisten oder Beamten herangezogen wird. Der Vertrauensschutz muss auch für die Familien und Studenten gelten. Wenn es Veränderungen geben muss, dann lebensnah. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Man muss differenzieren nach der Studiendauer.

derStandard.at: Wie soll dieser Vertrauensschutz aussehen?

Burgstaller: Man soll eine bestimmte Zeit haben, seine Entscheidungen zu verändern. Wenn eine Familie vor zwei Jahren entschieden hat, die Tochter, der Sohn studiert, dann kann man nicht plötzlich die Voraussetzungen ändern und die Familienbeihilfe kürzer zahlen. Bei den Pensionen heißt es immer, Änderungen erst in einigen Jahren, das müsste man bei den Studenten auch geltend machen.

derStandard.at: Sie plädieren für gewisse Übergangsfristen?

Burgstaller: Zum Beispiel. Um das kalkulieren zu können.

derStandard.at: Viele sind der Meinung, auch die Länder könnten einen größeren Beitrag leisten, indem bei der Verwaltung gespart wird. 

Burgstaller: Das tun die Länder. Nicht alle, leider. In Salzburg haben wir ein Zwei-Jahres-Budget gemacht und 2009/2010 sehr hohe Beiträge eingespart. Wir haben eine Nulllohnrunde für Beamte gemacht. Wir haben unsere Aufgaben erfüllt. Schön wäre es natürlich, wenn wir gemeinsam - Bund, Länder, Gemeinden - einen größeren Beitrag herausschlagen könnten.

derStandard.at: Sie haben angekündigt, für zwei Wochen nach Wien kommen zu wollen, und erst dann wieder nach Salzburg fahren, wenn alles ausverhandelt ist. Erkennen Sie auch bei anderen Landeshauptleuten diese Bereitschaft?

Burgstaller: Nein. Ich bin mittlerweile ziemlich frustriert, weil die Bevölkerung ein Recht darauf hat, dass in der Politik auch genauso optimiert wird, dass Doppelgleisigkeiten abgeschafft werden, dass Verwaltungsabläufe verbessert, beschleunigt werden, dass Aufgaben kritisch überarbeitet werden. Es ist sehr bedauerlich, dass das in Österreich nicht der Fall ist. Wahrscheinlich täte es gerade der SPÖ und der ÖVP gut, wenn wir hier einmal einen kräftigen Schub nach vorne machen würden.

derStandard.at: Das Konklave wird nicht stattfinden?

Burgstaller: Ich fürchte nein. Aber es gibt sehr viele positive Rückmeldungen. Ich weiß zum Beispiel, dass die Sozialpartner sehr interessiert daran sind. Ich sehe es auch nicht als einseitigen Prozess, dass die Länder jede Menge Aufgaben abgeben, sondern man muss die Frage erörtern, wie kann man in einem modernen Staat die Aufgabenverteilung am besten machen. 

derStandard.at: Aufregung gibt es aktuell wegen der Spitalsfinanzierung. Gesundheitsminister Alois Stöger hat vorgeschlagen, dass es ein bundesweit geltendes Krankenanstaltengesetz geben soll. Aus Niederösterreich wurde es als 'Rülpser' abgetan. Wie soll es da jemals zu einer Einigung kommen?

Burgstaller: Ich finde solche Statements wirklich unerträglich. Mir würden auch noch andere Worte dazu einfallen, die ich jetzt aber nicht sage. Denn das ist genau der miserable Stil, den die Menschen in Österreich schon so satt haben. Wenn man sowas sagt, wie diese 'Rülpser'-Antwort, darf man sich nicht wundern, wenn man dann Politikverdrossenheit erntet, wenn das Ansehen der Politiker noch schlechter wird. Ich finde, wenn der Minister Stöger sagt, ändern wir doch die Strukturen - Gesetzgebung beim Bund, Vollziehung bei den Ländern - dann sage ich: bitte - gerne. Setzen wir uns zusammen, aber nicht nur eine Stunde, sondern nehmen wir uns wirklich einige Tage Zeit und schauen wir, was brauchen wir, was braucht der Bund. Die Reaktion aus Niederösterreich war sowas von kontraproduktiv und fällt uns allen auf den Kopf.

derStandard.at: Sie unterstützen den Gesundheitsminister bei seinem Vorschlag?

Burgstaller: Ich unterstütze ihn grundsätzlich. Ich habe aber einen weiter gehenden Vorschlag. Ich finde, dass wir eine Planung zu den Krankenanstalten und zum niedergelassenen Bereich aus einem Busch machen müssen. Ich hielte es für fatal, wenn der Maßstab 500 Geburten sind, und wenn es die nicht gibt, wird das Krankenhaus zugesperrt. Wir brauchen in den ländlichen Regionen Spitäler, zum Beispiel ein Krankenhaus im Bezirk Lungau. Aber, wenn ein Gynäkologe nicht ausgelastet ist, soll die gesamte fachärztliche Betreuung vom Krankenhaus aus gemacht werden. Dann haben die Frauen eine Versorgung für die Alltagsuntersuchungen, aber auch für die Geburten.

derStandard.at: Also weg von den niedergelassenen Ärzten hin zu den Spitälern?

Burgstaller: Weg von den Doppelgleisigkeiten, sagen wir es so. 

derStandard.at: Ein weiterer Streitpunkt sind die Lehrerkompetenzen. Sie berufen sich auf den Beschluss von Frauenkirchen, der vor einem Jahr gefasst wurde. Offensichtlich wird dieser Beschluss von Ihnen anders interpretiert als von den Landeshauptmännern Pröll oder Pühringer. Sie können sich vorstellen, die Kompetenzen an den Bund abzugeben. Andere Landeshauptleute sind dagegen. Was gilt?

Burgstaller: Das ist wieder der typische, oberflächliche Streit. Macht, Macht, Macht - der Bund, die Länder, wer hat mehr Macht. Das erste Prinzip muss sein, möglichst viele Kompetenzen zu den Direktoren abzugeben. Die Gesetzgebung soll beim Bund sein, die Vollziehung kann sowohl beim Bund als auch bei den Ländern sein, aber es sollten alle Lehrer Bundeslehrer sein, weil dann auch eine gemeinsame Ausbildung und ein modulares System Sinn machen. 

Der Beschluss nach der Vollziehung bei den Ländern lässt viele Interpretationen zu. Wenn man das Protokoll liest, wird man sehen, dass ich immer gesagt habe, alle Lehrer auf Bundesebene zu bündeln, ist klüger als das zweizuteilen. 

derStandard.at: Pühringer behauptet, dass Sie sich nicht an den Beschluss von Frauenkirchen halten. 

Burgstaller: Falsch. 

derStandard.at: Warum treten eigentlich nicht alle vier roten Landeshauptleute geschlossen gegen die Vorschläge von Pröll auf? Sind Sie sich nicht einmal untereinander einig?

Burgstaller: Vielleicht sind Frauen in der Politik etwas anders in der Einschätzung, was wichtig ist und was nicht. 

derStandard.at: Sie sind also anderer Meinung als Ihre Kollegen.

Burgstaller: Ja. Ich sehe es nicht als Bedrohung, wenn ich Aufgaben woandershin abgebe, wenn es Sinn macht.

derStandard.at: Zum Thema Unis haben Sie gesagt "der Hut brennt" und dass man das System umstellen soll. Vor Studiengebühren schrecken Sie auch nicht zurück, haben aber gleichzeitig gesagt, das Stipendiensystem müsse umgestellt werden. Wie soll das künftige Stipendiensystem aussehen?

Burgstaller: Wenn die Qualität an der Uni passt, kann ich mir auch Studiengebühren vorstellen, das habe ich immer schon vertreten. Das Stipendiensystem gehört geändert, weil das Stipendienwesen seit Jahrzehnten äußerst ungerecht ist. Es begünstigt die Kinder von Selbstständigen und Bauern und benachteiligt die Kinder von Arbeitnehmerhaushalten, weil sie keine Gestaltungsspielräume in der Steuererklärung haben. 

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass Sie immer wieder von Ministerin Karl zitiert werden, wenn sie die Einführung von Studiengebühren fordert. Gibt es da eine gemeinsame Achse?

Burgstaller: Ich komme mit beiden Ministerinnen, mit Claudia Schmied und mit Beatrix Karl sehr gut aus. Ich halte beide für sehr engagiert in der Sache. Ich verstehe Ministerin Karl, dass sie mich da öfter zitiert, wenn auch etwas verkürzt, in der Hoffnung, dass sich die SPÖ insgesamt bewegen könnte. Mein Vorschlag ist, die ÖVP soll sich heftig bewegen in der Frage der Gemeinsamen Schule bis 14, die SPÖ soll sich bewegen in der Frage der Studiengebühren bei gerechten Verhältnissen an den Unis. 

derStandard.at: Hannes Androsch will ein Bildungsvolksbegehren starten. Werden Sie es unterschreiben?

Burgstaller: Gratuliere, ja! Ich werde natürlich zuerst den Text lesen, bevor ich es unterschreibe, aber ich hoffe, dass dadurch endlich Bewegung in die Sache kommt. 

derStandard.at: Was halten Sie von Rot-Grün? Wie es derzeit aussieht, wird diese Koalition in Wien kommen. 

Burgstaller: Ich finde es eine sehr interessante Konstellation. Und wünsche den beiden alles Gute in der Umsetzung. 

derStandard.at: In Salzburg haben Sie sich 2004 nicht drüber getraut. Sie meinten: "Ich bin doch nicht verrückt."

Burgstaller: Das Zitat ist nach einer zweistündigen Verfolgungsjagd mit der Kamera entstanden. Man muss unterscheiden zwischen großstädtischem und ländlichem Bereich. Salzburg ist ein relativ konservatives Bundesland. 2004 wäre Rot-Grün ein Grund für eine tägliche Demonstration mit Traktoren und sonst was gewesen. Das hätte das Land zerrissen. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 4.11.2010)