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Der umstrittene Anatom Gunther von Hagens vertreibt ausgewählte Plastinate nun auch im Internet.

Foto: Reuters/Murad Sezer

"Bella" mit Gunther von Hagens kurz nach ihrem beherzten Sprung aufs Telefon.

Foto: privat

Schockierend, provozierend, faszinierend - hinter den "Körperwelten" steht ein Name: Gunther von Hagens, Mediziner und Anatom mit Hut. Von Hagens, geborener Liebchen, bevor er den Namen seiner ersten Frau annimmt, lockt mit Ausstellungen von plastinierten Toten Millionen Besucher an. Seit dieser Woche gibt es die Leichenteile auch online zu kaufen. Mit dem Slogan "klicken, staunen, kaufen" können Interessierte sich einen ganzen Körper um rund 70.000 Euro, ein Kleinhirn um 830 Euro oder Ohrringe aus Bullenhodenscheiben um 41 Euro ganz einfach in den Warenkorb legen.

Warum der Webshop der wissenschaftlichen Aufklärung dient, Fachwelt wie Laien begeistert sind und wie aus menschlichem Sondermüll ein wertvolles Ausstellungsgut wird, erklärt der Plastinator am Tag der Eröffnung im Telefon-Interview mit derStandard.at.

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derStandard.at: Wie geht es Ihnen nach diesem langen Tag?

Gunther von Hagens: Ich musste mich gerade eine Stunde hinlegen, etwas ausklinken, denn ich konnte kaum mehr reden. Aber ich bin sehr gut drauf.

derStandard.at: Wie kommt man auf die Idee, ausgewählte Leichenteile übers Internet zu vertreiben?

Von Hagens: Bitte, gleich eine Unterscheidung: Mir wird vorgeworfen, eine Drehscheibe des Leichenhandels zu sein. Das gibt es tatsächlich. In Ländern wie den USA, China oder Russland. Hochqualifizierte Universitäten konnten bislang nur bei diesen dubiosen Quellen einkaufen und waren mit dem Ergebnis so gar nicht zufrieden. Als sie meine Präparate kennenlernten, waren sie ganz happy von der Qualität. Den Nachteil, online nicht vertreten zu sein, wollte ich nicht länger dulden.

derStandard.at: Wer kauft bei Ihnen?

Von Hagens: Menschliche Leichenteile geben wir nur an "qualifizierte Nutzer" ab, jene, die Leichenteile für Lehre und Forschung verwenden.

derStandard.at: Wie können oder wollen Sie sich da sicher sein?

Von Hagens: Jeder Kaufantrag wird per Post oder Fax eingereicht, die Nutzer müssen sich als "qualifiziert" ausweisen und wir überprüfen die Echtheit. Alles völlig transparent. Keiner muss sich fragen: "Was macht der von Hagens hier eigentlich?" Ich verstehe die ganze Heimlichtuerei nicht. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts wird Handel mit Leichenteilen betrieben, wozu also die Aufregung?

derStandard.at: In einem nicht für die Öffentlichkeit gedachten Rundschreiben meinten Sie, es wäre an der Zeit, die Präparate, einem größeren Kundenkreis zugänglich machen, also auch dem Normalverbraucher?

Von Hagens: Das ist eine Unterstellung. Mit größerem Kundenkreis waren sowohl die "qualifizierten Nutzer" als auch Laien gemeint. Laien erhalten hochauflösende Plexiglasdrucke der originalen Körperscheiben.

derStandard.at: Den "Test-Käufern" winkte ein Frühbucher-Rabatt von zehn Prozent...

Von Hagens: ... damit sie die Website beurteilen. Das haben sie gut gemacht. Nun ist die Phase beendet.

Die Telefonverbindung wird jäh unterbrochen. Wiederwahl.

derStandard.at: Herr von Hagens?

Von Hagens: Bitte um Entschuldigung, mir ist gerade ein Hund aufs Telefon gesprungen...

derStandard.at: Ein lebendiger?

Von Hagens: (lacht) Ja, ein kleiner. Wo waren wir?

derStandard.at: Immer noch bei den Leichen. Diese als Handelsware zu verkaufen stellt strafrechtlich kein Problem dar?

Von Hagens: Nach meiner Rechtsauffassung, die von einer Reihe renommierter Experten geteilt wird, sind Plastinate keine Leichen im Sinne des Bestattungsgesetzes. Eine Leiche ist ein verweslicher Zustand des menschlichen Körpers nach dem Tod, für den eine Bestattung vorgesehen ist. Demgegenüber ist ein Plastinat dauerhaft konserviert ähnlich einer Mumie. Außerdem ist sie irreversibel anonymisiert. Es findet ein kompletter Bedeutungswandel statt - schließlich stößt sich auch niemand daran, eine Wohnung mit Möbel voll zu räumen. Durch die Änderung der Zweckverwendung wird die Leiche sozusagen von Sondermüll zu einem wertvollen Ausstellungsgut.

derStandard.at: Zeichnen sich schon bestimmte Tendenzen ab?

Von Hagens: Erstaunlicherweise sind es die Laien, die massiv zugreifen - vor allem nach dem "Lifestyle-Angebot". Plastinierte Giraffenschwänze und Bullenpenisse, die sich gerade gothic girls an die Ohren hängen. Jede Frau möchte ihre Schönheit doch unterstreichen. Und wie tut man das? Indem man sich mit etwas schmückt, das es bislang noch nicht gab.

derStandard.at: Und menschliche Körperteile?

Von Hagens: Selbstverständlich. Heute gab es fünf Anfragen von "qualifizierten Nutzern", die überprüfen wir jetzt.

derStandard.at: Wenn der große Ansturm kommt - wie viele Präparate haben Sie auf Lager?

Von Hagens: 10.000 Scheiben menschlicher und tierischer Herkunft, weitere 10.000 befinden sich in Produktion. Bei den Rumpfpräparaten sind es um die 500 bis 600, etwa 30 Arme, 30 Beine - sie alle warten auf ihre Kunden. Im Hof stehen derzeit noch drei ganze Elefanten.

derStandard.at: Und der "Vorrat" an Körperspendern?

Von Hagens: Wir bekommen pro Tag drei bis vier Leichen. Das reicht erst mal. Ich habe immer genügend im Keller.

derStandard.at: Die Frage nach Leichen chinesischer Hinrichtungsopfer beantworten Sie nicht gerne.

Von Hagens: Im Gegenteil. Ich bin immer froh, wenn ich mich wehren kann. Meine Leichen kommen ausschließlich aus dem Pool, wo jeder unterschreibt, dass er mit seiner Körperspende explizit einverstanden ist. Ich schäme mich nicht für mein Tun, liebe die Leichtigkeit des Seins, sage leben und leben lassen. Ich würde nie Hingerichtete nehmen. Per Gerichtsentscheid ist diese Behauptung nicht zulässig. Jener Redakteur des Spiegel, der mir das unterstellt hat, sollte dafür in den Knast gehen, hat mir aber bislang nicht den Gefallen getan.

derStandard.at: Ihr Online-Shop startet gerade pünktlich fürs Weihnachtsgeschäft. Ein Zufall?

Von Hagens: Kein Zufall. Gut, wir arbeiten schon seit zwei Jahren an der Idee, sie verzögerte sich aber immer wieder. Der jetzige Start kommt in der Tat zum richtigen Zeitpunkt. Darauf habe ich massiv gedrängt und bin sehr froh.

derStandard.at: Wie lange dauert die "Herstellung" eines Ganz-Körper-Plastinats?

Von Hagens: Etwa 1.000 bis 1.500 Stunden. Ein Torso braucht etwa 800 bis 900 Stunden - mit allen Produktionsschritten ein halbes bis ein Jahr.

derStandard.at: In Ihrer Fabrik im brandenburgischen Guben beschäftigen Sie etwa 200 Mitarbeiter. Wie viel haben Sie in den Standort seit 2006 investiert?

Von Hagens: 40 Millionen den letzten vier Jahren und ich habe hart gearbeitet. Jetzt will der von Hagens langsam auch einmal etwas verdienen. Die lieben Bischöfe werfen mir vor, es wäre gegen Ehre und Würde, Präparate von Menschen zu verkaufen. Ich sehe darin eine hohe demokratische Legitimität, weil die Körperspender schließlich damit einverstanden waren. "Die Körperspende ist das ethische Rückgrat der Plastination und damit fühle ich mich ethisch gut aufgestellt."

derStandard.at: Bleiben wir bei Ihren Kritikern. Finden Sie Ihren Web-Auftritt nicht etwas makaber?

Von Hagens: Was kann ich dafür, dass Hollywoodleute über Jahrzehnte die Anatomie ausgenutzt haben, indem sie sie mit Verwesung und Kriminalität vermixt haben? Anatomie ist die Schönheit der Haut - eingefroren in der Zeit vor der Verwesung. Meine Präparate sind farbenprächtig, detailliert, dienen der wissenschaftlichen Aufklärung und regen zum Staunen an.

derStandard.at: Gestaunt hätten die Menschen auch über einen plastinierten Papst?

Von Hagens: Das stimmt. Erst ist man an mich herangetreten, Johannes Paul II. zu plastinieren. Hohe Kirchenfürsten haben das letztlich aber gekippt. Der jetzige Papst wäre sicher einverstanden, wenn man ihn um seine Meinung fragen würde. 1983 haben mich Vertreter der katholischen Kirche gebeten, das Fersenbein der Heiligen Hildegard von Bingen zu plastinieren. Mit dem Resultat waren sie sehr zufrieden.

derStandard.at: Sie selbst wollen auch plastiniert werden.

Von Hagens: (lacht): Aber sicher. Es ist doch ehrenvoll, wenn sich meine Kollegen tausende Stunden mit mir Mühe geben. Über die Pose diskutiert meine Familie noch. Mein Sohn will mich in Scheibchen mit Hut, meine Frau hätte mich gern an der Eingangstür zu den Ausstellungen, um die Besucher willkommen zu heißen.

derStandard.at: Wie reagieren die Gubener auf Sie?

Von Hagens: Kaum auf der Straße, werde ich umarmt.

derStandard.at: Mitte November kommen Sie mit der "Körperwelten der Tiere" nach Wien.

Von Hagens: Was Wien betrifft, bin ich ein Riesen-Fan, ein großer Bär. Die Ausstellung ist irre, etwas noch nie Dagewesenes. Wenn Sie zur Pressekonferenz kommen, kriegen Sie ein Schmatzerl von mir. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 4.11.2010)