Wien - Nach dem "Anschluss" 1938 wurden fast zwei Drittel der österreichischen Rechtsanwälte von den Nazis mit Berufsverbot belegt. Das Schicksal der insgesamt 1.914 verfolgten Kolleginnen und Kollegen wurde nun im Auftrag der Rechtsanwaltskammer erforscht und in einem fast 400 Seiten starken Band zusammengefasst. Im Ausland Fuß fassen konnten nur die wenigsten der nach 1938 vertriebenen Anwälte, wie Co-Autorin Barbara Sauer bei der Buchpräsentation am Donnerstag in Wien sagte.

Der Sammelband der Historikerinnen Barbara Sauer und Ilse Reiter-Zatloukal enthält neben historischen Hintergründen auch Kurzbiographien der 1.914 NS-Opfer. Demnach wurden 303 verfolgte Anwälte in Konzentrationslagern ermordet, zumindest 39 in den Selbstmord getrieben.

Verfolgung

Das Berufsverbot für aus rassistischen Gründen verfolgte Rechtsanwälte haben die Nationalsozialisten bereits im Herbst 1938 vollzogen, nur ein halbes Jahr nach dem "Anschluss". "Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen", hieß es in einem sowohl für das "alte Reichsgebiet" als auch für Österreich erlassenen Gesetz. Bis 31. Dezember 1938 wurden sie aus den Anwaltslisten "gelöscht". Die Rechtsanwaltskammern vollzogen die Vorgabe mittels "Fragelisten", ihn denen ihre Mitglieder versichern mussten, dass weder Eltern und Großeltern jüdischen Glaubens waren.

Rund 1.830 Anwälte wurden daraufhin wegen jüdischer Herkunft mit Berufsverbot belegt, weitere 67 wurden aus politischen und 17 aus anderen Gründen wie Widerstand oder Homosexualität verfolgt. Widerstand der Kammern gegen die "Arisierungen" ist nicht dokumentiert, zumal zahlreiche Akten aus dieser Zeit vernichtet wurden. Besonders dramatisch war der Kahlschlag in der mitgliederstarken Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland: Diese hatte zum Zeitpunkt des "Anschlusses" noch 2.541 Mitglieder - Ende 1938 waren es nur noch 771.

Im Exil

Die ins Exil geflüchteten Anwälte konnten dort kaum Fuß fassen, wie etwa das Schicksal des Villacher Anwalts Marzell Glesinger zeigt: Er emigrierte 1939 nach Palästina, wo er im Straßenbau, als Lastenträger und Nachtwächter arbeitete. Nur die wenigsten Flüchtlinge schafften die Umstellung auf das neue Rechtssystem, das im britischen Mandatsgebiet vor der Gründung des Staates Israel aus englischen, türkischen und religiösen Elementen bestand und außerdem Prüfungen in zwei bis drei offiziellen Sprachen erforderte.

249 Rechtsanwälte kehrten nach Kriegsende nach Österreich zurück - eine verglichen mit anderen jüdischen Vertriebenen ungewöhnlich hohe Rückkehrrate, wie Sauer sagte - und wohl auch Folge der hohen Zugangshürden zu juristischen Berufen in den Gastländern.

Anwaltskammer-Präsident Gerhard Benn-Ibler betonte, dass mit der vorliegenden Studie für den ersten freien Beruf Österreichs das Schicksal der von den Nazis vertriebenen Kolleginnen und Kollegen systematisch erforscht worden sei. Das Buch sei eine Möglichkeit, ihnen zu sagen, "wir haben Euch nicht vergessen". Nicht erhoben wurde die Täter-Perspektive, wie Alix Frank-Thomasser vom Verein zur Erforschung der anwaltlichen Berufsgeschichte, dem Herausgeber des Bandes, sagte: "Dieses Buch ist ein Opfer-Buch und kein Täter-Buch." Für zweiteres wäre ein umfangreicher Forschungsauftrag nötig. (APA)