Nun startet also Hannes Androsch das wiederholt angekündigte Volksbegehren für mehr und bessere Bildung. Ein solches Bekenntnis zu einem Thema, das in einer angeblichen Wissensgesellschaft sogar nach den Lippenbekenntnissen konservativer Lehrergewerkschafter keines speziellen Begehrens bedürfen sollte, hat es in Österreich noch nicht gegeben. Mehr als ein bloßes Begehren ist es ein dramatisches Aufbegehren jener Kräfte, die nicht mehr hinnehmen wollen, dass politischen Lippenbekenntnissen zur Bildung als Garant der Zukunft Österreichs in der Gegenwart nichts anderes entgegengestellt wird als garantierte Aushungerung. Von der Beteiligung an diesem Volksbegehren wird nicht nur abhängen, wie groß der Druck auf die Regierung sein wird, Besserung zu schaffen, sie wird auch erweisen, wie sehr sich die Heimat großer Söhne & Töchter als Wissensgesellschaft begreift.

Es geht dabei um mehr als nur um mehr Geld. Der kumulierte Wert dieses Volksbegehrens besteht auch darin, dass es in einer Zeit, in der falsche Propheten aus profundem Eigeninteresse dazu aufrufen, den Irrweg in eine Verländerung des Schulwesens einzuschlagen, den pädagogischen Experten in- und außerhalb der Parteien den Rücken stärkt. Also jenen, denen die Zukunftsfähigkeit der Jugend wichtiger ist als parteipolitischer Zugriff auf das Schulwesen. Als Offensive aus der Zivilgesellschaft kommt es in einer politischen Situation, in der sich die föderalistische Struktur Österreichs zunehmend als stärkeres Hemmnis für eine gedeihliche Entwicklung erweist als die koalitionäre Struktur der Regierung. Anders als früher einmal sind es immer weniger Parteigrenzen, die Anhänger und Gegner eines zeitgemäßen Unterrichts trennen, während die Front der Länder, derzeit angeführt von einem innerparteilich Beleidigten, noch immer unter dem reformabwehrenden Motto zusammengehalten wird: Der Bund zahlt, aber wir wissen alles besser, und warum? Weil wir sind näher am Volk.

Letzteres kann einem als gefährliche Drohung erscheinen, auch wenn man nicht gleich Gerd Bachers Zustandsbeschreibung einer "Dauerolympiade der Gartenzwerge" folgen will. Die föderalistische Beschwörung als Pawlow'scher Reflex ist in Zeiten der Europäischen Union weniger volksnah als hinterwäldlerisch. In Internet, Facebook und auf Youtube sind Jugendliche vom Bundeskanzler heute nicht weiter entfernt als von ihrem Landeshauptmann. Aber im Bierzelt, zugegeben, da hat er noch einen Vorsprung. Die Ideologie einer Volksnähe zur Verhinderung überfälliger Reformen läuft letztlich auf eine parteipolitisch motivierte Geiselnahme der Bevölkerung hinaus.

Das Schulwesen ist dafür nur ein Beispiel. Dasselbe gilt für andere Bereiche der Verwaltung, wie für die Spitäler. Alois Stöger will ein Krankenanstaltengesetz: Einheitliche Standards statt neun verschiedener Landesgesetze. Für die schwarzen Länder ein "Rülpser" . Mit Stöger rülpsen Ärztekammer, Opposition und auch der Präsident der Wirtschaftskammer. Offenbar sind die nicht so nah am Volk wie Erwin Prölls niederösterreichischer Finanzguru. Vielleicht sollte es der Gesundheitsminister auch mit einem Volksbegehren versuchen. (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2010)