Bose packt bei VideoWave die Boxen quasi ins Display: Zur Verstärkung werden die Töne durch ein Tunnelsystem geleitet.

Foto: Bose

Das ohrenbetäubende Sirenengeheul des vorbei rauschenden Feuerwehr-Trucks. Das Lärmen von Zikaden mitten im Urwald, in das sich plötzlich von hinten das Brüllen eines Löwen mischt. Das Mozart-Requiem, das Zuschauer zu Tränen rührt. Jeder Filmemacher weiß, dass ein fetter Soundtrack der halbe Weg zum Oscar ist.

Aber die Action im Wohnzimmer spielte sich in den vergangenen Jahren vor allem beim Bild ab und nicht beim Ton. Hochauflösende und immer größere Flachbildschirme, ein Feuerwerk an ständig neuer Displaytechnologie, und zuletzt die dritte Dimension im Wohnzimmer. Der große Sound zum brillanten Bild im Heimkino bleibt jedoch meist der individuellen Installationen von Home Theater Anlagen vorbehalten. Weil dies komplex ist und obendrein Surround Sound die Verkabelung des Wohnzimmers für wenigstens fünf oder gar mehr Boxen erfordert, machen gerade einmal ein Drittel der Besitzer großer Flachbild-TV-Geräte diesen Schritt, wissen Marktforscher.

Was wäre daher einfacher als ein Flachbildschirm-TV, bei dem der raumfüllende Klang ohne weiteres Kabellegen und Boxeninstallation gleich aus dem Display kommt? Diesen logischen Schritt machte jetzt Bose, bisher vor allem als Hersteller von High-End-Audioanlagen bekannt: Das seit Mitte Oktober erhältliche Bose VideoWave Entertainment System ist ein 46 Zoll TV, das die gesamte Audioanlage und Lautsprecher für Surround Sound hinter den Bildschirm packt - selbst den Subwoover, die große Bassbox.

Geräusche von überall

Tatsächlich beeindruckt der lebensechte, kräftige Klang von VideoWave. Bei Szenen im Film "August Rush", die Geschichte eines musikalischen Wunderkinds, für das sich die laute, hektische Kulisse New Yorks in Musik wandelt, taucht man mitten in die Metropole ein, wird von Geräuschen links, rechts, vorne und hinten überrascht - obwohl nirgendwo eine Lautsprecherbox sichtbar ist.

Eine der zentralen Innovationen ist die Fähigkeit, Ton ähnlich wie das Licht einer Taschenlampe bündeln und an eine Stelle im Raum projizieren zu können. Durch die Reflexion entsteht der Eindruck, dass der Ton von genau diesem Ort kommt - obwohl er in Wirklichkeit aus einem Ensemble von sieben digital gesteuerten Lautsprechern hinter dem Display stammt, dem Phase Guide. "Eigentlich war es der Fehlschlag eines Forschungsprojekts, mit dem wir vor zwölf Jahren eine Orientierungshilfe für blinde Personen entwickeln wollten, der dafür die Basis lieferte", erzählt Bose-Präsident Robert Maresca.

Soundprojektoren

Eine ähnliche Technik bieten zwar seit einiger Zeit so genannte Soundprojektoren. Allerdings wird die Vielzahl an notwendigen Lautsprechern in ein relativ großes Soundbar verpackt, und auch ein großer Basslautsprecher muss separat installiert werden. Für die Erzeugung der tiefen Töne ohne Bassbox hat Bose dagegen seine Wave-Technologie weitergeführt, gleichfalls in der Rückseite des TV verpackt: Ein Arrangement von sechs kleinen Subwoovern erzeugen den Schall, der durch eine Art Wellenkammer gepresst wird und so den nötigen Raum erhält seine Kraft zu entwickeln. Dazu wird von den Audioanlagen eine AdaptIQ genannte Technik verwendet: Diese erfasst mittels Mikrofonen die akustischen Eigenschaften eines Raums, seine Größe, Möblierung, welche Materialien und Menschen Ton reflektieren oder schlucken. Die Wiedergabe wird darauf automatisch abgestimmt.

Zur einfacheren Bedienung hat Bose auch gleich eine neue Remote erfunden, die alle vorhandenen Fernbedienungen anderer Geräte "schluckt" - wie DVD, Blu Ray, iPod, Festplattenrekorder. Die "Click Button Remote" hat nur noch sechs Knöpfe für die Grundfunktionen, und ein Touchfeld: Das bringt die für das jeweilige Gerät erforderlichen Funktionen auf den TV-Bildschirm.

VideoWave

Mit VideoWave steigt Bose erstmals in den TV-Markt ein. "Der Audiomarkt ist nur ein Sechstel des Videomarkts und stagniert", sagt Maresca. Weltweit werden rund 120 Milliarden Dollar mit TV-Geräten umgesetzt. "Wir konzentrieren uns auf ein schmales Topsegment. TV-Hersteller verdrängen den Sound, weil das TV teurer und dicker macht, aber Geräte und Gewinne werden immer dünner", sieht Maresca die Chance auf eine profitable Nische.

Dabei ist Bose in einer sehr einzigartigen Situation. Das Unternehmen wurde 1964 vom MIT-Professor für Elektrotechnik Amar G. Bose gegründet, als "Doktor Bose" im Alter von 81 noch immer die treibende Kraft. Obwohl inzwischen ein Zwei-Milliarden-Dollar-Konzern ist, ist Bose weiterhin in Privatbesitz und investiert seine Gewinne in die Forschung. Das gibt einen sehr langen Atem, auch für ein neues Produkt, das um rund 7000 Euro vorerst nur betuchte Konsumenten anspricht. (Helmut Spudich aus Boston/ DER STANDARD Printausgabe, 5. November 2010)

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