Wenn du laufen willst, dann lauf eine Meile. Wenn du aber ein neues Leben kennen lernen willst, dann laufe einen Marathon. (Emil Zatopek, tschechische Lauf-Legende)
Wenn man eine Einladung zu einem Marathon bekommt, ist das nett. Wenn man diese Einladung zu einem Marathon auf der Originalstrecke von Marathon nach Athen bekommt, ist das schon deutlich interessanter, schließlich will diese Strecke jeder passionierte Hobby-Marathonläufer zumindest einmal laufen.
Wenn man diese Einladung allerdings anlässlich des 2500 Jahr Jubiläums zur Schlacht von Marathon bekommt, ist das schlichtweg atemberaubend. Immerhin ist diese klassische Strecke von Marathon zum alten olympischen Panathinaikon Stadion wegen ihres hohen Schwierigkeitsgrades eine der beliebtesten Wettkampfstrecken der Welt.
Und weil dieser außergewöhnliche Lauf, der ja gleichzeitig die längste olympische Laufdisziplin ist, zufällig auch mit meinem 10. Marathon zusammenfiel, war es für mich schlichtweg doppeltes Glück. Deswegen wurde für diese schwierige Strecke natürlich deutlich ehrgeiziger trainiert. Doch schauen wir uns zuerst mal an, was es mit diesem legendären Lauf an sich hat.
Die Schlacht bei Marathon
Griechenland im Jahr 490 vor Christus. Einzelne griechische Stadtstaaten wie Theben, Sparta und Athen waren im peloponnesischen Bund locker untereinander verbunden. Die Perser, die unter Darius 1. die ionische Küste dominierten und einige ägäische Inseln besetzt hielten, wollten nach der Landung in der malerischen Bucht von Marathon die Stadt Athen von der Landseite her angreifen und erobern.
Die Perser hatten allerdings bereits bei der Landung einen äußerst schweren taktischen Fehler begangen und ihr Lager direkt am Strand aufgeschlagen. Hinter ihnen das Meer links, rechts von ihnen Sümpfe und vor ihnen auf einem Hügel lagerten bereits die in einem Eilmarsch aus Athen eingetroffenen Soldaten unter ihrem genialen Heerführer Militiades.
Die beiden Heere belauerten sich acht lange Tage, bis es am Tag nach Vollmond, im September 490, zur Entscheidung kam. Miltiades wusste um die Stärke und die Übermacht der Perser. Hier konnte nur mit einer genialen Taktik gewonnen werden.
Miltiades ließ sein Heer in drei Blöcken nebeneinander aufstellen, wobei der mittlere, scheinbar schwächere, sich überraschend zurückzog; die beiden stärkeren Flügel, schwerer gepanzert, mit längeren Speeren und Schwertern ausgestatteten als die Perser, stürmten hingegen vor, unterliefen deren Pfeilhagel und überrannten diese förmlich. Danach rieben sie den mittleren persischen Block in einer Zangenbewegung förmlich auf. Die Schlacht war gewonnen, 192 gefallenen Athener Soldaten standen angeblich 6300 Persern gegenüber. Ein Läufersoldat namens Eucles wurde losgeschickt, um die freudige Nachricht sofort nach Athen zu tragen. Wer die Hitze des griechischen Sommers und die entlegenen Staubstraßen auf Kreta oder im griechischen Hinterland kennt, weiß um die Strapazen des Läufers. Am Areopag angekommen, verkündete er „nenikèkamen!“ - wir haben gewonnen - und hauchte danach vor Erschöpfung sein Leben aus. Allerdings ist fraglich, ob sich die Szene wirklich so abgespielt hat.
Diese Schlacht bei Marathon ist die erste Schlacht für Demokratie gegen Fremdherrschaft und Tyrannei und war somit auch der erste Sieg für die gelebte Demokratie in der Geschichte der Menschheit. In diesem Zeichen stand auch der Lauf.
Die Geschichte des Marathonlaufes
Herodot schrieb die Geschichte zu dieser Schlacht erst ca. 500 Jahre später auf. Heute wissen wir, dass die Wurzeln des olympischen Marathonlaufes eigentlich dem griechischen Schriftsteller Plutarch zu verdanken sind, der den überraschenden Sieg der Griechen über die weit überlegenen Perser theatralisch verbrämte. Er ließ den Boten namens Eucles vor dem Stadttor Athens sein Leben aushauchen, nachdem er den Athenern die Nachricht des Sieges überbracht hatte. Der hier immer irrtümlich zitierte Pheidippides lief allerdings vor der Schacht von Marathon ins ca. 260 Kilometer gelegene Sparta, um die Spartaner zu Hilfe zu rufen. Diese zelebrierten allerdings lieber ihr Vollmondfest und waren nicht sonderlich an einem Kampf interessiert.
Den Text von Plutarch las der französische Sprachwissenschaftler Michel Bréal, ein Freund Pierre de Coubertins, der eben dabei war, die Olympischen Spiele der Neuzeit zu erfinden. Auf der ersten Sitzung des Internationalen Olympischen Kongresses 1894 machte er den Vorschlag, mit einem solchen Lauf ein zentrales sportliches Ereignis für diese Spiele zu schaffen. Zwei Jahre später war es dann soweit.
42,195 legendäre Kilometer
Am 10. April 1896 um 13.56 Uhr startete im Ort Marathon der erste offizielle Marathonlauf in der Geschichte des Sports. Der griechische Wasserträger Spiridon Louis erreichte nach 2:58:50 Stunden als erster von 18 Teilnehmern das Ziel im Panathenaikon = Panathenischen Stadion in Athen. Die Strecke des ersten Marathons der Geschichte betrug allerdings nicht die heute üblichen 42,195 Kilometer, sondern "nur" knapp 40 Kilometer. Im Jahre 1900, bei den Spielen in Paris, lief man dann exakt 40,2 Kilometer, die der Sieger in 2:59:45 Stunden zurücklegte.
Die nun offizielle Streckenlänge von exakt 42, 195 Kilometern ergab sich aus einem einfachen Grund: bei den Olympischen Spielen in London 1908 betrug die Distanz vom Startplatz vor dem Schloss Windsor bis zur königlichen Loge im Olympia Stadion in White City umgerechnet 42,195 Kilometer. Bei den olympischen Spielen 1912 in Stockholm und 1920 in Antwerpen wurde wieder die alte 40 km Distanz gelaufen. Erst seit dem Jahr 1924 bei den zweiten olympischen Spielen in Paris sind die 42,195 km nun offizielle Marathondistanz.
Bereits am 19. April 1897, also fast exakt ein Jahr nach dem ersten olympischen Marathon von Athen, feierte der Boston-Marathon seine Premiere. Das traditionsreiche Rennen gilt somit als der Vorläufer jenes City-Marathons. Allerdings urteilte der damalige Chef des US-Sportverbandes American Athletic Union (AAU) über die 15 Teilnehmer des ersten Boston-Marathons, dass die Läufer eher in die Irrenanstalt als auf die Straße gehörten. Irren ist bekanntlich menschlich. Heute sind Marathons ein Massensport und ein willkommener Imagefaktor für jede Großstadt oder Region.
Athen
Hier war ich also wieder, im Land und in der Stadt der Freunde aus meiner Schulzeit, wie Zeus und Hera, Aphrodite, Herodot , Pythagoras, Artemis, Ganymed und Xanthippe, der gesamten antiken „social media group“ eben. Und diesmal als Gast zum 2500 Jahr Jubiläums Marathon.
Athen zeigte sich die drei Tage vor dem Lauf von seiner sehr weiblichen Seite: schön, aber sehr kühl. Vormittags wurden am Strand nach Glyfada, dem Athener Grinzing, noch schnell 20 Kilometer runtergespult. Danach ging es teilweise mit kundiger Führung, teilweise allein durch Athen. Pulsierendes Leben, kleine Läden und tolle Geschäfte in quirligen Einkaufsstraßen, die noch nicht mit dem Einheitsbrei globaler Marken zugepflastert sind, herzliche Menschen, hervorragendes Essen und über all dem die fantastische griechische Stimmung und elegante Gastfreundschaft sind die unverwechselbaren Zeichen von Athen. Für eine Wochenendreise ist diese Stadt, die durch die olympischen Spiele vor sechs Jahren deutlich dazugewonnen hat, nach wie vor ein absoluter Geheimtipp! Am Freitag wurde im Zappeion, einem ehemaligen Messepalast im historischen Garten zwischen Königspalast und altem Stadion, die Startnummer abgeholt. Hier trifft man auf Menschen aller Nationen, die einfach ein bisschen laufen wollen oder schlichtweg Laufverrückte sind, wie Roy aus den USA, der nicht nur seinen 110. Marathon in Athen absolviert hatte, sondern auch schon an die 160 Ultra-Marathons gelaufen war. Den Boston Marathon lief er vor drei Jahren zweimal hintereinander und weil er so fleißig war, bekam er dafür auch zwei Medaillen.
Am Samstag waren die Jubiläums-Gäste zu einer geführten Tour nach Marathon geladen, wo am Grabtumulus der gefallenen Athener Krieger in einer feierlichen Zeremonie das Feuer für die Fackel zur Marathonflamme entzündet wurde. Danach ging es weiter in das Stadion von Marathon, wo in einer weiteren Zeremonie mit allen militärischen Ehren die Marathonflamme von der langjährigen griechischen Rekord-Marathonsiegerin gemeinsam mit der ersten olympische Marathonsiegerin der Welt entfacht wurde. Ein Besuch im kleinen, aber liebevoll eingerichteten und deshalb höchst interessanten Marathonmuseum rundete das offizielle Festprogramm zur 2500 Jahr Jubiläum ab.
Der Tag der Wahrheit
Die Vorbereitungen zum Lauf hatte ich bereits ab dem Frühjahr begonnen. Drei Monate vor dem Start stellte ich meine Essensgewohnheiten um. Im mehrfachen Wiener Landesmeister über alle Distanzen und Fitnesscoach, dem gebürtigen Tanzanier Alfred Sungi vom LCC Wien, hatte ich einen richtig tollen Laufpartner gefunden. Mit Alfred, den ich auf den Weg zum diesjährigen Wien Energie Halbmarathon kennen gelernt hatte, spulte ich jede Menge an Trainingskilometern in der Prater Hauptalle und auf der Donauinsel herunter und bekam von ihm wertvolle Tipps für effizientere Lauftechnik. Und Zak, mein treuer Hund und Laufgefährte bei jedem Wetter, hält mich ohnehin seit nunmehr zehn Jahren stets auf Trab.
Wer Ihnen allerdings erklären will, dass man einen Marathon ohne jegliche Vorbereitung schaffen könnte, lügt schlichtweg und wer's trotzdem versucht, gefährdet seine Gesundheit massiv. Am Tag des Laufes brachte ein Bus uns geladene Sportler – unter ihnen die berühmtesten Marathonläufer und –läuferinnen der Welt - früh morgens vom Hotel mit einer Motorradeskorte an den Start nach Marathon. Die Wetterbedingungen waren optimal, die Kondition, das Gewicht perfekt und die Stimmung war einfach riesig.
Am Start waren neben 14.000 begeisterten Hobby-Marathonläufern aus allen Kontinenten auch eine Abordnung von fünf Läufern des österreichischen Bundesheeres sowie der österreichische Botschafter in Athen, Dr. Michael Lienhard, der Generalsekretär des ÖOC, Dr. Peter Mennel und Günter Ernst, der Rennleiter vom Dreiländereck Marathon aus Bregenz.
Von Freunden bekam ich eine kleine Soundmachine mit der expliziten Vorschrift geschenkt, den „Play“-Knopf erst beim Überschreiten der Startlinie drücken zu dürfen. Mit dem Lied „Conquest of Paradise“ von Vangelis, das mir wohlige Gänsehaut verursachte, nahm ich die Herausforderung der historischen Strecke an.
Diese verlief vorerst knapp über Meereshöhe, nach fünf Kilometern wurde der Tumulus in Marathon umrundet und ab Kilometer 16 ging es dann langsam zur Sache. Die Steigung begann kontinuierlich aber unerbittlich und hörte erst am Stavros, dem höchsten Punkt der Strecke, auf. Bis dahin begleiteten uns Geruchskaskaden von Kampfer, Rosmarin, Wacholder, wilder Bergminze, Holzkohlenfeuer und gegrillten Schaffleisch. Bei Stavros begannen sich die Vorstädte von Athen bemerkbar zu machen. Zumindest gab es hier den ersehnten Schatten von Bäumen entlang des Mittelstreifens der Fahrbahn.
"It's the final countdown"
Der liebevoll auf meinen Musikgeschmack und die Strecke abgestimmte kleine Musikzwerg war eigentlich für optimistische 3,55h mit höchst sensationell ausgewählten Nummern programmiert, wie „Rückenwind“ von Thomas D. oder „River deep, Mountain high“ in der Phil Spector Version. Die letzten drei Nummern waren jedenfalls akustisches Doping und der absolute Overdrive vom Feinsten für die letzten Kilometer. Mit dem ultimativen Liebeslied „Deep Heart“ von der Deep Dive Corp., mit dem absoluten Hammer „Shooting stars never stop even when they reached the top“ von Frankie goes to Hollywood und “Final Countdown” der schwedischen Gruppe Europe flog ich förmlich ins Ziel. Der Sprint ins historische Stadion war überwältigend und mit nichts zu vergleichen. Die Zeit von 4:13:21h war für diesen schwierigen Lauf eine Marke, die ich mir nicht mal im Traum vorgestellt hatte. Noch dazu, wo ich ohne Pulsmesser und somit auch ohne Uhr unterwegs war und mich nur auf meine innere Stimme verlassen hatte.
Dass ich eine Medaille und einen Ölzweig aus dem Hain von Marathon bekommen hatte, registrierte ich so nebenbei. Endorphine hatten mich in Beschlag genommen und einen bisher noch nie gekannten Euphorie-Kick verursacht.
Nach einer kleinen Verschnaufpause im wunderschönen historischen Stadion ging es zu einem eleganten Essen ins Athener Top-Restaurant Spondi gleich neben dem Zappeion. Hier nahm ich das erste Mal nach Monaten wieder ein natürliches isotonisches Getränk zu mir, ein ideal gekühltes griechisches „Mythos“ Bier und das zu einem ausgezeichneten griechischen „nouvelle couisine“ Essen. Übrigens, ins Spondi kommt man auch ohne einen langen Umweg via Marathon.
Gewonnen hat den Jubiläums Marathon bei den Damen die Kenianerin Rasa Drazdauskaite mit 2:31:06 Stunden, bei den Herren gewann ihr Landsmann Raymond Bett Kimutai, der 2:12:40 Stunden benötigte, der also fast doppelt so schnell war wie ich. Große Gratulation!
Den freundlichen Gastgebern sei ebenfalls an dieser Stelle herzlichst gedankt: Athen und die antiken Götter waren auch mir gewogen. Dieses bestens inszenierte Ereignis zum 2500 Jahr Jubiläum war gekennzeichnet von der legendären griechischer Gastfreundschaft und für mich der bisher beeindruckendste Marathon, der für jeden passionierten Läufer ohnehin Pflicht ist.
Und wie sich der internationale Freundeskreis der Läufer zu verabschieden pflegt: „see you in a few miles“!