Wien - Religiosität hat auf die Einstellung der Europäer zu Politik und zur Demokratie wenig Einfluss. Die vielbeschworene "Rückkehr der Religionen" nach dem 11. September 2001 ist ausgeblieben. Religiosität spielt aber in der Werthaltung der Menschen weiterhin eine große Rolle.

Zu diesem Schluss kommt die Europäische Wertestudie, die am Donnerstagabend von Mitautorin Sieglinde Rosenberger präsentiert wurde. Die Studie misst seit 30 Jahren die Einstellungen der Europäer zu Politik, Religion und gesellschaftlichen Fragen.

Obwohl die Religion auf politische Einstellungen der Bürger kaum Einfluss hat, ist sie in der Politik präsenter denn je. Die Debatte um den Islam und christliche Werte wird tagtäglich in den Medien behandelt. Ob Religion dabei von der Politik missbraucht wird, diskutierte anschließend an die Präsentation ein Runde aus Wissenschaftern und Politikern, moderiert von Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid.

"Der Islam" sei bloß eine Chiffre, ähnlich jenen, mit denen zuvor andere Randgruppen stigmatisiert wurden, sagte Grünen-Geschäftsführer Stefan Wallner. Es gehe um die Konstruktion von Feindbildern. Rechte Politiker suchten eine äußere Kraft, die als Bedrohung hochstilisierbar sei.

Wegen der großen Polarisierung der Debatte in Österreich sei es schwer, hier zu differenzieren, sagte Christoph Mandry, katholischer Theologe der Universität Erfurt. Eine Polemik nach Art des FPÖ-Wahlslogans "Daham statt Islam" werde in Deutschland von politischen Mitbewerbern sanktioniert. Sie mache eine Kooperation nach der Wahl schwierig.

Dass es in Österreich überhaupt möglich sei, dass Parteien derart polarisieren, sei der Gesellschaft geschuldet, sagte die Politologin Rosenberger. Diese habe autoritäre Grundstrukturen und eine monolithische katholische Kirche. In Deutschland gebe es hingegen mehrere Kirchen und größeren gesellschaftlichen Pluralismus.

Christliche Werte

Die katholische Kirche müsse sich davon verabschieden, ihre Interessen in der Politik durchzusetzen, forderte die Wiener katholische Theologin Regina Polak. Sie solle dafür ihr Engagement in der Gesellschaft verstärken. Der Wiener Kirchenrechtler Richard Potz sprach sich dafür aus, religiösen Argumenten in der öffentlichen Debatte mehr Raum zu geben.

Christliche Werte seien "ein wichtiger Aspekt" beim Finden von Positionen in der ÖVP, so Stefan Steiner, Chef der Politischen Abteilung der Volkspartei.

Diese dürften freilich nicht instrumentalisiert werden, um Gesetze zum Fall zu bringen, etwa im Fremdenrecht. Steiner bestätigte damit gleichsam die Beobachtung des Theologen Mandry, dass christliche Werte zwar oft diskutiert werden, es aber der Politik nicht mehr möglich sei, daraus konkrete Schlüsse zu ziehen. (Alexander Fanta, STANDARD-Printausgabe, 06./07.11.2010)