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"Nein zu Entlassungen": Vertragsbedienstete des Kultur- und Tourismusministeriums protestieren auf der Akropolis in Athen gegen die Folgen des drastischen Sparkurses.

Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Athen - Vor dem Hintergrund harter Sparmaßnahmen der Regierung haben am Sonntag Kommunalwahlen in Griechenland begonnen. Knapp zehn Millionen Stimmberechtigte sind aufgerufen, die Präfekten der 13 Verwaltungsregionen sowie 325 Bürgermeister neu zu bestimmen. Als Termin für eventuell notwendig werdende Stichwahlen ist der 14. November vorgesehen. Die Wahlen gelten als Stimmungstest für die sozialistische Regierung des Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou und deren umfangreiches Sparpaket. In Meinungsumfragen lagen die regierende Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) und die konservative Opposition zuletzt gleichauf. Der Premier kündigte für den Fall schwerer PASOK-Verluste die Auflösung des Parlaments in Athen und Neuwahlen an. STANDARD-Autor Markus Bernath hat sich in seiner Reportage in der nordgriechischen Hafenstadt Alexandroupolis umgesehen. (red/APA)

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Werksleiter ist er, und das Werk wäre auch noch da, nur zu leiten gibt es nichts mehr. Vasilis Argiris ist gewissermaßen ein Spiegelbild Griechenlands, wie es die Leute hier nun sehen: ein Land, dem das Heft aus der Hand genommen wurde, wirtschaftlich ruiniert, in stillem Zorn auf seine Politiker und Unternehmensführer. "Wir haben den Ball verloren", sagt Argiris, Manager einer der Spinnereien von Griechenlands größtem Bekleidungsunternehmen, United Textiles, das sich weigert, in Konkurs zu gehen, aber seit Monaten nichts mehr produziert und keine Gehälter zahlt.

Jetzt sollen die Griechen auch noch wählen gehen. Am Sonntag werden erstmals Präsidenten für die 13 Regionen des Landes bestimmt und Bürgermeister von Städten und Gemeinden, die alle neu geordnet und zusammengelegt wurden. "Westmazedonien-Thrakien" heißt die Region, in der Werksleiter Argiris lebt, 300 Kilometer Griechenland von Serres in der Mitte bis Alexandroupolis im Osten. Noch so ein Sparplan.

300 Millionen Euro Schulden soll United Textiles in den ver-gangenen Jahren bei den Banken angehäuft haben, 14 Millionen schoss allein die griechische Regierung im Februar letzten Jahres zu, Monate bevor das Finanzdesaster im Land offenbar wurde. Die EU-Kommission lässt das jetzt untersuchen. Weil die Banken ihre Kredite für United Textiles nicht abschreiben wollen, wird so getan, als ob das Unternehmen noch funktionierte. "Die Politiker haben versprochen und versprochen. Sie haben unsere Generation an der Nase herumgeführt", sagt Argiris' Ehefrau Lia. Der Mittelstand rutscht nun ab. Argiris will sich nun nach einem Job in Bulgarien umsehen. Er ist eigentlich Elektroingenieur.

Parteien und Politiker sind nicht sehr gefragt in diesen Zeiten. In der Hafenstadt Alexandropolis hängen keine Wahlplakate, die großen Parteien - die regierenden Pasok-Sozialisten und die Konservativen der Nea Dimokratia - verstecken ihre Namen; man macht Wahllisten mit neuen Logos, mietet nur ein Wahllokal an. Leer stehende Läden gibt es ja genug.

"Soziale Zusammenarbeit" heißt zum Beispiel die Liste der Pasok in Westmazedonien-Thrakien. Aris Yiannakidis, Chef der Präfektur Rodopi an der Grenze zu Bulgarien, führt sie an. Er zählt zu jenen sicheren Kandidaten, die Regierungschef Giorgos Papandreou in das Rennen um die neuen Regionspräsidenten schickt.

In anderen Teilen des Landes wird es sehr viel enger für die Sozialisten werden. Sie fürchten eine Strafwahl: In Attika, mit fünf Millionen Einwohnern die wichtigste Region des Landes, führt ein Pasok-Dissident die Umfragen an. Yannis Dimaras hatte sich gegen das Sparprogramm gestemmt, das die "Troika" - EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds - Griechenland verordnet haben, und wurde deshalb aus der Partei geworfen.

20 Prozent Arbeitslose

Von "Minimonium" sprechen die Griechen, was sich lustig anhört, aber nicht lustig ist: Gemeint ist damit der "Aufgabenzettel" der Troika, die Kürzung der Pensionen und Gehälter im öffentlichen Dienst, die Privatisierung der Staatsunternehmen, eben auch die Zusammenlegung der Gemeinden, um Geld zu sparen. 20 Prozent Arbeitslose zählt man offiziell bereits in Evros, der Präfektur, in der Alexandropolis liegt.

In Wirklichkeit sind es wohl jetzt im Herbst nach der Tourismus- und Erntesaison doppelt so viele, meint Stavros Vavias, ein junger Agrarwissenschafter, der auf der Liste der Sozialisten für das neue Regionalparlament kandidiert. "Die schwierigsten Zeiten kommen noch", sagt er voraus. Weitere Sparmaßnahmen, die wegen der Wahlen aufgeschoben wurden; der Sprit etwa, der teurer werden wird und jetzt schon mehr als 1,50 Euro je Liter kostet, die Notgroschen auf den Bankkonten, die im Winter abgehoben werden.

Vavias macht trotzdem Wahlkampf und wirbt für die Regionalreform. Warum die Regierung in Athen nicht schon viel früher die Städte und Gemeinden zusammengelegt hat, wenn es so viele Vorteile hat? Sein Freund Sakis Kyrgiannis, ein Arzt, der seit 20 Jahren eines der kleinen städtischen Krankenhäuser in Evros leitet, hat eine Antwort: "Das hier ist Griechenland. Wir machen immer alles erst zum Schluss." (Markus Bernath aus Alexandroupolis, STANDARD-Printausgabe, 06./07.11.2010)