Zu blöd aber auch! Das österreichische Presserecht erlaubt uns nicht, sämtliche Aussagen von F. wiederzugeben. Da sieht man wieder einmal, wie es hierzulande um die Meinungsfreiheit bestellt ist. Aber noch gibt es Medien, die sich dem Terror des österreichischen Presserechts mutig entgegenwerfen, um ihre Leser wenigstens mit jenen Aussagen von F. zu konfrontieren, die wiederzugeben es erlaubt. Denn diese hatten kein größeres Bedürfnis, als nach so langer Abstinenz endlich wieder einmal zu erfahren, was das "Inzest-Monster" aus Amstetten im BILD-Gespräch über Liebe, Haft-Alltag und Schuld zu sagen hatte: Er züchtet Pfefferoni, Paprika und Tomaten. Das Verdienst gebührt "Heute" und "Österreich" vom Dienstag.

Aber eben nur sekundär. Denn kein Blatt geht seiner Pflicht zur Aufklärung so schonungslos nach wie "BILD", da bleibt unter der Knute des österreichischen Presserechts selbst den mutigsten unter den heimischen Zeitungen nur noch - abzuschreiben. Selbst von seiner Zelle aus schafft er es, das Land zu schockieren, behauptete "Österreich", womit es das Verdienst von "BILD" ein wenig schmälerte, ohne dessen Einsatz in der "Abteilung für geistig abnorme Rechtsbrecher" solch geistig abnormer Journalismus mit dem Nebenzweck, das Land zu schockieren, gar nicht hätte stattfinden können.

Der Bild-Reporter konnte die weltgeschichtliche Bedeutung seiner 70 Minuten bei F. kaum fassen, weshalb er in "Österreich" als Draufgabe zur Pfefferoni-Züchtung auch die tiefen Eindrücke schilderte, die das unheimliche Treffen in seiner Psyche hinterließ. Fest schüttelt er mir die Hand. Ich denke: Das sind die Hände, die das Kellerverlies bauten. Die Hände, die sein Opfer an ein Bett ketteten und vergewaltigten.

Im konkreten Fall könnte man sich das auch denken, ohne gleich auf Besuchstour zu gehen, aber ein Bild-Reporter braucht etwas Handfestes, ehe es mit dem Denken losgehen kann. Er denkt: F. ist belesen, gebildet, intelligent. Fast charmant wirkt der "alte Verbrecher". Aber dann kann es der unheimliche Besucher nicht lassen: Bis ich ihn auf seine furchtbaren Taten anspreche. Dann war es mit der guten Laune natürlich vorbei. Sein Lächeln verschwindet, seine Hände - die Hände, die das Kellerverlies bauten! - verkrampfen sich, und das kritische Reportergemüt verkrampft sich mit: Ich blicke in die Abgründe eines Mannes, der nichts begriffen hat, kein Unrechtsbewusstsein hat, null Reue zeigt.

Bei seinem Charme hätte "der alte Verbrecher" schon ein wenig Unrechtsbewusstsein für "BILD" - und in der Folge für "Österreich" und "Heute" - an den Tag legen können. Man kann doch einen Reporter nicht so sitzen lassen: Ich sitze einem Mann gegenüber, der immer noch glaubt, dass ihn irgendjemand liebt - ihn, den Tyrannen. Und der damit gar nicht so falsch liegt. Denn als Interviewpartner darf er sich zu Recht geliebt fühlen, und wenn es sich bei ihm noch so sehr um einen unbelehrbaren, uneinsichtigen Irren handelt.

Wirklich irre wird es, wenn sich der Postler der "Krone" einschaltet. Schwankend zwischen sittlicher Entrüstung und journalistischem Brotneid - der Bericht aus der "Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" fand sich familiär ins "Heute" ausgelagert - verdoppelte Michael Jeannée Mittwoch seine Arbeitsleistung auf zwei Spalten, um den amtierenden Direktor besagter Anstalt, der bis gestern kaum jemandem bekannt war, mit einer furchtbaren Drohung zu schocken: Das wird sich mit meinem heutigen Brief an Sie (drei Millionen Menschen lesen täglich die "Krone") gravierend ändern, fürchte ich.

Und das vielleicht nur aus Wut über den intellektuellen Vorsprung von "BILD"-Reporter vor "Krone"-Reporter. Wir haben am Eingang unsere Presseausweise vorgewiesen, gefragt, ob wir wohl den Herrn F. interviewen könnten, und nach fünf Minuten waren wir drin. Mitsamt Tonbandgerät und Fotohandys. So einfach geht 's! Nicht einmal als Rechtsanwälte wollen sie sich ausgegeben haben. "Unter uns, Kollege Jeannée: Das war ein superleichte Übung." Aber einfallen muss es einem halt. Und das wirft für einen Moralisten wie Jeannée naturgemäß ein Problem auf: Stein, der Häfen für Reporter auf Knüller-Jagd.

Aber keine Angst, die Horrormeldung, mit der die "Krone" Mittwoch ihre Leser schockte, ließ ebenfalls nichts zu wünschen übrig. In Wien kommt jetzt Rot-Grün: Häupl regiert mit einer Griechin. (Günter Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.11.2010)