Amman/Wien - Ein Jahr nach der Auflösung des Parlaments durch König Abdullah II. können am Dienstag 2,6 Millionen wahlberechtigte Jordanier und Jordanierinnen ein neues Unterhaus wählen. Es wird 120 - anstatt wie zuvor 110 - Sitze haben, von denen 12 Sitze (zuvor 6) für Frauen und 12 für Minderheiten reserviert sind.
IAF boykottiert Wahl
Ein Fest der Demokratie wird der Dienstag jedoch nicht werden. Die Islamische Aktionsfront (IAF) boykottiert den Urnengang, was von Politologen als ernster Defekt der Wahlen empfunden wird. Waren die Islamisten im 2007 gewählten Parlament auch nur mehr schwach vertreten, so hatte ihre Teilnahme am politischen Prozess diesem doch mehr Breite und Legitimation verschafft. Genau dafür will die IAF nach eigener Aussage jedoch nicht mehr herhalten und verweist auf unfaire Bedingungen für alle, die nicht zur Klientel des Königshaus gehören. Unzufrieden sind auch Teile der großen Gruppe der Palästinenser sowie Demokraten und Liberale. Es wird erwartet, dass die Wahlbeteiligung, die 2007 bei 54 Prozent lag, empfindlich sinkt.
König Abdullah hatte im November 2009 nach der halben Legislaturperiode das Parlament vorzeitig nach Hause geschickt, einen um Partikularinteressen streitenden und die Regierung bei ihren angesichts der Krise immer nötiger werdenden Wirtschaftsreformen behindernden Haufen. Dass die Wahlen ein ganzes Jahr auf sich warten ließen, brachte Jordanien eine Herabstufung im Demokratie-Index des Instituts "Freedom House" auf den Status "unfrei" ein. Dennoch warteten Beobachter geduldig - hatte doch der König für die Wahlen ein neues Wahlgesetz versprochen, das Jordanien in eine völlig neue Phase der Demokratisierung führen sollte.
Frauen-Repräsentation wird erhöht
Einige Forderungen erfüllt dieses neue Wahlgesetz tatsächlich: Die Repräsentation der Frauen wird erhöht, und durch eine Teilung der großen Wahlbezirke in "Subbezirke" sollen die Chancen von lokalen Kandidaten erhöht werden. Aber die eigentlichen Probleme wurden nicht angegangen: dass erstens die ländlichen, tribalen Gebiete besser repräsentiert sind als die städtischen, wo sich mehr Islamisten und mehr Palästinenser finden; und dass zweitens immer noch das "ein Wähler, eine Stimme"-Prinzip und "the winner takes it all" gilt, das Stammeskandidaten bevorzugt und die Entwicklung einer Parteienlandschaft erschwert.
Dementsprechend wird auch das nächste jordanische Parlament aussehen. Macht hat es ohnehin sehr wenig - die Regierung bestimmt der König -, aber als kritisches politisches Forum hätte es dennoch eine wichtige Aufgabe. So bleibt der wachsende Pool der Frustrierten außerhalb der Institutionen. Der Staat reagiert zunehmend sensibel auf Kritik - hoffentlich auch dann, wenn wie 2007 Vorwürfe von Wahlfälschung auftauchen.(Gudrun Harrer, STANDARD-Printausgabe, 08.11.2010)