Noch vor wenigen Jahren galt die "Neue Zürcher Zeitung" als das Nonplusultra der publizistischen Qualität. Selbst wenn man beispielsweise die Pluralität der Kommentarseiten des (sicher auch deshalb leserstarken) Standard ins Treffen führte: "An die NZZ kommen Sie nicht heran", hieß es.

Diese Meinung vertraten auch Leute, die das Schweizer Weltblatt gar nicht lasen. Solche Einschätzungen hört man mittlerweile seltener - vor allem deshalb, weil auch ständige österreichische Leser der "Neuen Zürcher" mit ihrem Leib- und Magenblatt hadern.

Am Donnerstag nach den Zwischenwahlen in den USA widmete die "NZZ" diesem Ereignis weniger als die "Kleine Zeitung" und nur etwas mehr als die "Kronen Zeitung". Österreichische Qualitätszeitungen wie vor allem Der Standard, aber auch Die Presse, übertrafen die Schweizer Konkurrenz bei weitem und boten etwa so viel wie "Le Monde" - auch was Hintergrund und Kommentierung betrafen. Übertroffen wurden sie von der "Frankfurter Allgemeinen" und der "Süddeutschen". Quantitativ, aber nicht qualitativ.

Was ist mit der "Neuen Zürcher" los? Immer wieder macht sie die Seite 3, traditionell bestückt mit den Highlights der internationalen Politik, mit chronikalen Ereignissen auf. Seit dem Chefredakteurswechsel und einer gelungenen Modernisierung des Layouts sind Feuilleton und Wirtschaft (trotz Platzreduzierung) gleich stark wie früher. Doch das Asset der internationalen Ausgabe, die Außenpolitik, hat dramatisch gelitten.

Die Schweizer Zeitungmacher folgen offenbar einem internationalen Trend. In den USA und in Großbritannien hat man die globale Berichterstattung in letzter Zeit - offiziell aus Kostengründen - um bis zu 30 Prozent reduziert. Und das, obwohl es notwendig wäre, die zunehmende Komplexität der internationalen Vorgänge besser zu erklären.

Immerhin hat die NZZ ihr Kommentarangebot ausgeweitet. "Die Presse" bietet jetzt ebenfalls zwei Seiten externe Kommentare, um gleichzeitig die zunehmend ÖVP-freundliche Kommentierung so zu verstreuen, dass es keinen kompakten Meinungsauftritt mehr gibt. Der "Kurier" wiederum verstärkt das Service und den Plakatcharakter der ersten Seite im "Land der Tiere".

Die zunehmende Emanzipation der Web-Zeitungen - derStandard.at produziert mittlerweile einen guten Teil seiner Inhalte selbst - führt indessen zu interessanten Konstellationen. Vor allem, was ein Hauptcharakteristikum von Qualitätszeitungen betrifft: das der Meinungsführerschaft. Damit sind thematische Lead-Funktionen einer Zeitung gemeint - wie beispielsweise die des Standard bei Bildung, Unis und Forschung oder bei Themen Ost- und Südost-Europas sowie Islam und Naher Osten.

"Le Monde" ist eine Kooperation mit Wikileaks eingegangen, jene umstrittene, aber gleichwohl enthüllende Internet-Plattform, die gravierende US-Verfehlungen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat.

Hier bahnen sich Allianzen zwischen Print und Internet an, die künftige Medienrealität prägen werden. Sich darauf einzulassen ist sicher mutig, aber auch berechnend. (Gerfried Sperl/DER STANDARD; Printausgabe, 8.11.2010)