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Othmar Karas: "Es ist politischer Stil von gestern, hinter gepolsterten Türen etwas auszumachen und dann die Betroffenen vor vollendete Tatsachen zu stellen."

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

"SPÖ und ÖVP produzieren leider täglich Nicht- und Wechselwähler, leider auch FPÖ-Wähler", kritisiert Othmar Karas, Vizepräsident der Europäischen Volkspartei im Gespräch mit derStandard.at. Die Regierung habe sich für ein "derartig einfallsloses Budget viel Zeit genommen, verfassungsrechtliche Vorgaben ignoriert und trotzdem zu wenig nachgedacht". Über einen "politischen Stil, der klar macht, dass sich Politiker vor dem Bürger nicht fürchten", die Familienpolitik der ÖVP und das Erstarken der FPÖ, sprach er mit Katrin Burgstaller.

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derStandard.at: Waren die Budgetpläne der Regierung eine Überraschung für Sie?

Karas: Das Ergebnis ist nicht nur für mich enttäuschend. Ich habe mir erhofft, dass die Versprechen umgesetzt werden und es zu einem sehr mutigen Schritt kommt. Ich habe mir erhofft, dass Strukturreformen eingeleitet werden und es zu einer Verwaltungsreform kommt, in der die Vorschläge des Rechnungshofes aufgegriffen werden und nicht zuerst den Pflegebedürftigen und den Familien in die Tasche gegriffen wird. Bei den Betroffenen zu sparen und die Bürokratie zu schönen, ist keine befriedigende Lösung.

derStandard.at: Warum ist die Regierung wieder zu schwach, um eine Verwaltungsreform durchzuführen?

Karas: Das Problem ist einerseits die Struktur des Landes. Auf der anderen Seite ist es ein Mangel an Mut sich den Zukunftsfragen zu stellen und die nötigen Reformen einzuleiten. Ich plädiere für mehr Mut. Machen wir uns die Zukunft zum Freund und verteidigen wir den Status quo nicht gegen sie.

derStandard.at: Welche Punkte würden Sie bei einer Verwaltungs- und Strukturreform zuerst angehen?

Karas: Ich würde den Rechnungshofbericht zur Hand nehmen und ineffiziente Doppelgleisigkeiten beseitigen. Im Bereich der Pflege gibt es etwa Landes- und Bundespflegegeld, dessen Trennung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es gibt 300 verschiedene Stellen, die Pflegegeld auszahlen und neun verschiedene Systeme im Sozial- und Gesundheitsbereich. Es gibt sehr viele Verwaltungsebenen auf denen Einsparungspotenzial vorhanden ist. Man braucht ein Gesamtkonzept für die zukünftige Gestaltung des Landes. Es gilt zu klären, wer für welche Bereiche Verantwortung trägt. Auf der anderen Seite brauchen wir Gesamtkonzepte, wie die langfristige Absicherung der Pflege durch einen Pflegefonds. Und wir müssen das tatsächliche Pensionsantrittsalter von derzeit 58 Jahren an das gesetzliche Pensionsantrittsalter konsequent heranführen. Zudem benötigen wir ein Investitions- und Innovationspaket, das Wachstum und Beschäftigung schafft. Forschung, Bildung und Wissenschaft sind ein Schlüssel zum Erfolg. Dafür hätten wir die Banken als Partner gewinnen sollen, statt 500 Millionen einfach abzukassieren.

derStandard.at: Bis vor kurzem zeigte sich die ÖVP noch bemüht, die Familien zu fördern. So wurde das einkommensabhängige Kindergeld eingeführt. Jetzt gibt es radikale Kürzungen, etwa im Bereich der Familienbeihilfe. Sind der ÖVP die Familien auf einmal nicht mehr wichtig?

Karas: Das ist kein Budget der ÖVP, sondern ein Budget der Bundesregierung. Man muss auch darüber reden, was der Koalitionspartner nicht erlaubt, erdroht und verhindert hat. Bis zur Stunde sind mir die Budgetkonzepte der SPÖ und der ÖVP nicht bekannt, sodass ich den Kompromiss parteipolitisch nicht bewerten kann. Das Ergebnis ist schlecht, enttäuschend. Die Parteien sollten ihre eigenen Vorstellungen auf den Tisch legen, damit die Bürgerin und der Bürger die Regierungskompromisse auch aus dieser Sicht nachvollziehen können.

Meine Vision einer christdemokratischen Volkspartei baut auf den Werten der Würde des Menschen, des Respekts voreinander und der Familie auf. Das sind Kernwerte der ÖVP, die für mich nicht zur Diskussion stehen. Gerade wegen der demographischen Entwicklung und des notwendigen sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft, müssen Kinder, Mütter und Väter wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

derStandard.at: Glauben Sie, dass die Kürzung der Familienbeihilfe die richtige Maßnahme dazu ist?

Karas: Nein! Aber das glaube nicht nur ich nicht. Es gibt täglich neue Resolutionen und Proteste. Hier sollte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

derStandard.at: Die Regierung spart bei den Schwächsten, den Pflegegeldbeziehern. Ist das nicht ein verheerendes Signal für die Gesellschaft?

Karas: Es ist unverständlich, dass man, bevor man ein Gesamtkonzept erarbeitet und die Einsparungspotenziale nützt, bei den Pflegestufen Erschwernisse durchführt. Das kann und wird auch aus sachpolitischer Sicht nicht unsere Zustimmung finden. Dass wir einsparen müssen, steht außer Streit, aber sparen heißt nicht automatisch streichen und kürzen. Die Regierung hat sich viel Zeit genommen, verfassungsrechtliche Vorgaben ignoriert und trotzdem zu wenig nachgedacht.

derStandard.at: Zwei Tage nachdem die Budgetpläne vorgestellt wurden, hat die Regierung die Pensionserhöhungen bekannt gegeben. Werden so Generationen gegeneinander ausgespielt?

Karas: In der Frage der Generationengerechtigkeit ist der Abbau der Staatsschulden entscheidend. Auch das kommt bei diesem Budgetpaket zu kurz. Mit diesem Paket werden die Schulden nicht ausreichend reduziert. Wo ist der Masterplan, bis wann, wodurch die Staatsschulden auf 60 Prozent gesenkt und jährlich ein Überschuss erarbeitet werden kann? Er fehlt! Wo ist der Kassasturz der öffentlichen Hand? Er fehlt! Das ist verantwortungslos.

derStandard.at: Wird sich der Widerstand auch innerhalb der ÖVP gegen dieses Budget stärken?

Karas: Es gibt eine intensive Diskussion. Ich verstehe überhaupt nicht, dass man die politische Debatte über den Sommer unterbunden hat, die Budgetrede verschoben hat und nachher ein derartig einfallsloses Budget auf den Tisch legt. Das passt nicht zusammen. Es ist politischer Stil von gestern, hinter gepolsterten Türen etwas auszumachen und dann die Betroffenen vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Die Seniorenvertreter wurden eingeladen, aber die Familien-, Jugend-, Studentenvertreter, die Vertreter der Hilfsorganisationen und geistig alle Betroffenen wurden ausgesperrt. Sie hätten miteinander wahrscheinlich mehr zustande gebracht als auf diese Art. Unter Einbindung dieser und der Rücksichtnahme auf die Vorschläge von Rechnungshof, WIFO und IHS hätte es leichter ein faires, zukunftstaugliches, reformfreudiges Budget gegeben. Die Regierung war sich selbst genug.

derStandard.at: Ein Grund dafür, dass die Gespräche unterbunden wurden, war die Wahl in Wien. War der Wahlerfolg der FPÖ für Sie eigentlich eine Überraschung?

Karas: Ich trete für einen politischen Stil ein, der klar macht, dass sich Politiker vor dem Bürger nicht fürchten. Und das werde ich auch immer radikaler tun, weil es um die Glaubwürdigkeit des Systems und das Vertrauen in politische Entscheidungen geht. Wir haben als Politiker auf die Menschen zuzugehen und aufrichtig über die Probleme und Ziele zu reden. Die Politiker müssen die Menschen zum Beteiligten machen. Es ist der Eindruck entstanden, als würde man wegen Wahlen die öffentliche Debatte scheuen.

Ich habe das Wiener Wahlergebnis befürchtet, aber nicht erwartet.

derStandard.at: Die FPÖ ist aus den Wienwahlen sehr gestärkt herausgegangen. Haben die Regierungsparteien dazu beigetragen, dass die FPÖ immer salonfähiger erscheint? Immerhin haben Abgeordnete der ÖVP und der SPÖ Martin Graf zum Dritte Nationalratspräsidenten gewählt.

Karas: Man würde es sich zu einfach machen, würde man die Wahl von Martin Graf als Ursache des Wahlerfolges der FPÖ sehen. Das war eine demokratische Entscheidung, die den parlamentarischen Usancen entspricht. Die Ursachen liegen tiefer. SPÖ und ÖVP produzieren, aber leider täglich Nicht- und Wechselwähler, leider auch FPÖ-Wähler. Das wichtigste ist, dass jene die Verantwortung tragen, den Menschen Angst nehmen, Lösungen anbieten und glaubwürdig Verantwortung tragen. Das ist nicht in einem ausreichenden Ausmaß geschehen. 

derStandard.at: Glauben Sie, dass Schwarz-Blau, also die Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Wolfgang Schüssel, die FPÖ entzaubert hat?

Karas: Zweifelsohne war sie nie so schwach wie in der Zeit, als Wolfgang Schüssel Bundeskanzler war. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 10. November 2010)