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28. 9. 2008 in Berlin: Haile Gebrselassie hat 42,195 Kilometer in 2:03: 59 Stunden absolviert. Den Rekord nimmt der 37-jährige Äthiopier in die sportliche Pension mit.

Foto: REUTERS/Johannes Eisele

New York/Wien - Die letzten Kilometer seiner grandiosen Karriere waren eine Qual. Nach mehr als der Hälfte des 41. New York Marathons am vergangenen Sonntag, kurz nach dem Lauf über die Queensboro Bridge hinein nach Manhattan, übergab Haile Gebrselassie, von Knieschmerzen geplagt, quasi das Zepter an Gebre Gebrmariam und blieb stehen. Sein äthiopischer Landsmann, die Anfeuerungsrufe seines verehrten Vorbilds noch im Ohr, triumphierte bei seinem Debüt im Big Apple. So recht freuen woll sich der 26-jährige Crosslauf-Weltmeister von 2009 aber nicht darüber. Er weinte vielmehr mit, als Gebrselassie unter Tränen und mit den Worten "Der Tag ist gekommen, ich höre auf" seinen Rücktritt verkündete.

In Gebrselassie verliert die Leichtathletik ihren zweiten Superstar neben Usain Bolt. Wie der Jamaikaner seit mehr als zwei Jahren den Sprint beherrscht, so beherrschte Gebrselassie in den 90er-Jahren die 5000, vor allem aber die 10.000 Meter. Viermal en suite wurde der nur 1, 64 Meter große Athlet aus der 2430 Meter hoch gelegenen Kleinstadt Assela über diese Distanz Weltmeister. 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney erlief er olympisches Gold. Weltmeister über die längste Hallendistanz, die 3000 Meter, war er dreimal.

26 Weltrekorde hat Gebrselassie aufgestellt, vier davon haben immer noch Bestand. Jene über 20 Kilometer, ein Stunde (jeweils auf der Laufbahn) und 30 Kilometer auf der Straße verblassen allerdings neben den 2:03:59 Stunden, binnen deren er 2008 den Berlin-Marathon einer Erledigung zuführte. Im Jahr davor hatte Gebrselassie erstmals und ebenfalls in Berlin den Marathon-Weltrekord geknackt (2:04:26). Olympisches Gold über diese Distanz, 2012 in London, wäre das letzte Ziel des 37-Jährigen gewesen.

"Ich war ein bisschen geschockt, als ich von seinem Rücktritt hörte. Ich wäre so gerne in London mit ihm den Olympia-Marathon gelaufen", sagt Günther Weidlinger, Österreichs diesbezüglicher Rekordler, der Gebrselassie als "schillernde, stets fröhliche Persönlichkeit" beschreibt. "Er hat nie den Star herausgekehrt, war für jeden Spaß zu haben, vor und nach dem Rennen."

Ganz ernsthaft riet Gebrselassie Weidlinger "bei einem Glas Rotwein" nach einem Rennen in Australien, nur ja nichts zu überstürzen bei der Umstellung des Laufstils auf die Marathonstrecke. Diese Umstellung sei, sagt Weidlinger dem Äthiopier selbst nicht in Perfektion gelungen. "Auf der Bahn war er ein Ästhet. Er ist ein extremer Vorfuß- und Ballenläufer, der, obwohl relativ klein, einen großen Schritt hat. Vielleicht hätte er sich noch verbessern können. Aber er hat ja schon so viele Kilometer in den Beinen."

Tatsächlich machte Gebrselassie, das achte von zehn Geschwistern, schon auf dem Schulweg viele Kilometer - zehn hin, zehn zurück, Tag für Tag, bei Dunkelheit aus Angst vor Hyänen nur in der Gruppe, aber stets mit den Büchern unter dem Arm, was, wie er in einem Interview anmerkte, für seine eigentümliche Haltung des linken Arms beim Laufen verantwortlich gewesen sein könnte.

Ab 1990 trainierte Gebrselassie in der Hauptstadt Addis Abeba mit den Besten der Läufernation Äthiopien, die Legenden wie Abebe Bikila hervorgebracht hat, der ohne (Rom 1960) und mit Schuhen (Tokio 1964) Marathon-Olympiasieger wurde. Heute ist Gebrselassie, vierfacher Vater und erfolgreicher Geschäftsmann in der Immobilienbranche, selbst ein Idol, dem nicht wenige eine politische Karriere zutrauen.

"Lasst mich aufhören und ab jetzt andere die Arbeit machen, lasst mich einen anderen Job tun, und gebt den Jungen eine Chance", sagte der scheidende Laufkönig noch, nachdem in New York die Tränen getrocknet waren. (Sigi Lützow, DER STANDARD, Printausgabe, Dienstag, 9. November 2010)

Ergebnisse New York Marathon:

Männer: 1. Gebre Gebrmariam (ETH) 2:08:14 - 2. Emmanuel Mutai (KEN) 2:09:18 - 3. Moses Kigen Kipkosgei (KEN) 2:10:39 - 4. Abderrahim Goumri (MAR) 2:10:51 - 5. James Kwambai (KEN) 2:11:31 - 6. Meb Keflezighi (USA) 2:11:38

Frauen: 1. Edna Kiplagat (KEN) 2:28:20 - 2. Shalane Flanagan (USA) 2:28:40 - 3. Mary Keitany (KEN) 2:29:01 - 4. Inga Abitowa (RUS) 2:29:17 - 5. Kim Smith (NZL) 2:29:28 - 6. Christelle Daunay (FRA) 2:29:29