Man konnte sich zuvor schon ausrechnen, was passieren würde, wenn wieder ein Castor-Transport vom französischen La Hague ins niedersächsische Gorleben rollt: Die Proteste gegen die strahlende Fracht würden heftiger sein als je zuvor, weil die wiedererstarkte Antiatombewegung in Deutschland Kanzlerin Angela Merkel die Quittung für deren Atompolitik überreicht.

Diese hat Merkel auch verdient - wenngleich nicht in Form von Demonstranten, die Straftaten wie Schottern (Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett) begehen oder Lust auf gewalttätige Auseinandersetzungen erkennen lassen. Doch die übergroße Mehrheit der Demonstranten ist friedlich, und das macht ihren Protest umso stärker.

Nicht ein paar Chaoten muss Merkel bei den nächsten Wahlen fürchten. Viel schlimmer wiegt, dass die Verlängerung der AKW-Laufzeiten von der Mehrheit der Deutschen nicht goutiert wird. Die Kanzlerin regiert in dieser Sache schlicht an ihrem eigenen Volk vorbei.

Viel hat die schwarz-gelbe Regierung in ihrem ersten Jahr nicht zustande gebracht. Doch ausgerechnet in der umstrittenen Atomfrage zeigte Merkel jene Entscheidungsfreudigkeit, die sich viele von ihr auch anderswo wünschen. Längere Laufzeiten für Atommeiler bedeuten noch mehr Atommüll. Das wissen nicht nur die Menschen im niedersächsischen Wendland, sondern auch jene in Baden-Württemberg. Und dort wird im März 2011 gewählt. (Birgit Baumann, DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2010)