Wien - Kindermusikevents sind grundsätzlich großartig: Endlich einmal normal angezogen auf eine Premiere. Märchen sind grundsätzlich super: In idyllischen Erzähllandschaften klaffen tiefe Spalten, die hinunter in die Dunkelkammern der Seele führen (DER STANDARD empfiehlt hierzu Eugen Drewermanns tiefenpsychologische Deutungen ausgewählter Gebrüder-Grimm-Märchen).

Und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist eine grundsätzlich ehrenwerte Institution: Seit 198 Jahren um die „Emporbringung der Musik in all ihren Zweigen" bemüht, führt sie schon seit deren 21 die nachwachsende Kulturkonsumentenschaft in verästelten Programmschienen behutsam an den elaboriert-ernsthaften musikalischen Fruchtgenuss heran.

35.000 Besucherinnen und Besucher zählten allein in der vergangenen Saison die 154 Kinder- und Jugendveranstaltungen des Hauses; zum Jubiläum des Doppeldezenniums wurde im letzten Jahr ein Auftragswerk vergeben: „Der gestiefelte Kater" - ein „musikalisches Märchen" für Sprecherin, Streichquartett und Kinder ab 5 Jahren; Musik: Triology-Tristan Schulze, Libretto : Chris Pichler.

Pichler bemüht sich sehr. Als gestiefelte Erzählerin wird die Schauspielerin (für Theaterferne: das Zimmermädchen aus dem Salzbaron) vom Kater zum König, vom Elefanten zur Maus - fast allein mit stimmlichen Mitteln. Und Schulze bemüht sich nicht minder: Das junge Minetti Quartett ist fast ununterbrochen am fideln; Walzer, Tango, Jazz, Barockes, Klassisches, Romantisches, Schräges entspringt ihren Instrumenten.

Nur ist das Ganze leider nichts für Kinder ab 5. Pichlers Text ist zu lang, zu hochtrabend-schwafelig: zu schwer. Da checkt sogar der Papa lieber die Mails am iPhone, als sich ins Märchenland entführen zu lassen. Schulzes komplexe Musik liegt trotz allen (Abwechslungs-)Reichtums deutlich näher am Quartett-Konzert als an Peter und der Wolf. Und egal ob 5- oder 95-Jähriger, man LECHZT nach kleinen szenischen Bonbons - sie werden nur in homöopathischen Dosen gereicht. Last but not least: Musste für den Müllerssohn unbedingt der religioservile Name Gottlieb erfunden werden? Märchen schauen anders aus. (end, DER STANDARD, 9. November 2010)