Wien - "Der Herr Marin hat ein Problem: Seine Berechnungen haben nicht die Qualität, durchgehalten zu werden": Die Retourkutsche von Sozialminister Rudolf Hundstorfer fällt - wie der Urheber selbst meint - brutal aus. Zuvor hatte der Pensionsexperte Bernd Marin die geplanten Reformen als "kleines Pflaster auf einer stark blutenden Wunde" kritisiert - und gesagt, wie es besser gehen könne.

Quell des Konflikts sind die stark steigenden Kosten fürs Pensionssystem. In der Theorie sind sich Regierung und Experten über die Lösung einig: Das Pensionsalter muss angehoben werden. Doch das Wie ist heiß umstritten.

Trotz künftiger Einschnitte blieben Frühpensionsvarianten wie die Hacklerregelung zu attraktiv, bemängelt Marin: Die Abschläge deckten nicht annähernd die verursachten Kosten - die Steuerzahler finanzierten den Frühpensionisten den Gewinn an Freizeit. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ergänzt: "Wer früher geht, wird belohnt, wer später geht, wird bestraft."

Im Auftrag von Leitl hat Marin ein Anreizmodell ausgetüftelt, um Arbeitnehmer vom vorzeitigen Ruhestand abzuhalten. Prinzip: Wer länger arbeitet, als er unbedingt müsste, bekommt 25 Prozent seines Pensionanspruchs laut Pensionsbescheid ausbezahlt - was im Schnitt zwischen 170 und 280 pro Monat ausmache. Der Arbeitgeber erhält als Lohnzuschuss ein weiteres Viertel als Bonus, die restliche Hälfte erspart sich die Pensionsversicherung - und steige damit besser aus als mit einem Frühpensionisten. Marin erwartet sich Einsparungen von 277 Millionen im Jahr, Leitl weniger Facharbeiter, die sich aufs Altenteil vertschüssen. Sein politischer Köder: Greife die Reform, könne man sich die Hälfte der sonst nötigen Zuwanderung sparen.

Doch die Regierung beißt nicht an. Für ein Hauptproblem hält Sozialminister Hundstorfer, dass die Hälfte der Pensionsanträge aus Arbeitslosigkeit und Krankheit heraus gestellt würden - diesen Menschen nütze das Kammer-Konzept gar nichts. Auch Leitls Parteifreund Josef Pröll winkt ab. Der Vizekanzler und ÖVP-Chef kann sich allenfalls einen Bonus vorstelle, wenn jemand über das Regelpensionsalter von 65 hinaus arbeite: "Einen Pensionsbescheid bekommen und weiter arbeiten - das ist aus meiner Sicht nicht gangbar." (cs, jo, DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)